1958 bekam die Sängerin Bibi Johns von Mercedes einen 190 SL mit besonderem Kennzeichen geschenkt. Foto: Mercedes

Das bombastisch bejubelte Jubiläumskonzert der SWR Big Band in der Porsche Arena hat Erinnerungen geweckt. Wir sprachen mit Georgia Lehn, der Tochter von Bandgründer Erwin Lehn. Unvergessen ist auch ihre Patentante Bibi Johns, die mit „S-EX 666“ Mercedes fuhr.

Als ihr Vater Erwin Lehn 1951 das Südfunk-Tanzorchester gegründet hat, besaß der Sender wenige Jahre nach Kriegsende keine Proberäume für eine so große Formation. „In der Anfangszeit hat er im Gasthof Krone in Untertürkheim geprobt“, erzählt Georgia Lehn. Jahrelang sei die Familie deshalb sonntags zum Mittagessen in die Krone gefahren. Unter den Nazis stand Jazz auf dem Index. Dass der 1919 geborene Bandleader, Komponist und langjährige Orchesterleiter dem Swing zum Durchbruch in Deutschland verhalf, gilt bis heute als Pioniertat. In der Porsche-Arena ist der im Jahr 2010 im Alter von 91 Jahren verstorbene Ausnahmemusiker am Sonntagabend mit einem Weltklasse-Programm der um Streicher erweiterten SWR Big Band und zahlreicher Gaststars wie Paul Carrack, Max Mutzke und Curtis Stigers gefeiert worden. Das Publikum erlebte einen Höhepunkt in der Stuttgarter Musikgeschichte, von dem man in der Stadt noch lange schwärmen wird.

Das Kuss-Lied hat Erwin Lehn für seine Frau geschrieben

Seine Tochter Georgia Lehn hatte sich sehr darauf gefreut, als Ehrengast in der Porsche-Arena dabei zu sein. Wegen einer Erkältung („Nein, es ist nicht Corona“) musste sie daheim in Tirol bleiben, wo sie mit ihrem Mann lebt. Den Live-Stream des Konzerts zum 70. Bandgeburtstag, das wegen der Pandemie um ein Jahr verschoben werden musste, hat die 66-Jährige im Netz verfolgt. „Ich hab’ ein Foto von meinem Vater neben dem Bildschirm aufgestellt“, berichtet sie. Er habe also quasi mitgehört. Die Begeisterung war riesig. Immer wieder seien ihr die Tränen gekommen, als etwa Götz Alsmann das Lied „Gib mir einen Kuss durchs Telefon“ gesungen hat – jenes Lied, dass ihr Vater in Berlin, also in seinen Jahren vor Stuttgart, für ihre Mutter schrieb.

„Das ist doch das Auto der Nitribitt“

Auch die Patentante von Georgia Lehn hat das ganz besondere Konzert live im Netz verfolgt: Die schwedische Sängerin Bibi John ist heute 93 Jahre alt und war eng verbunden mit Erwin Lehn, beruflich wie privat. Sie lebt heute in München und konnte wegen ihres Alters die Reise nach Stuttgart nicht antreten. „Auch sie war total begeistert“, berichtet Georgia Lehn, die natürlich Kontakt danach mit ihr hatte.

Einst ist Bibi Johns in einem Mercedes SL durch Stuttgart gefahren, dessen Kennzeichen rasch zum Gesprächsthema geworden ist. Als „elegantes Flaniercabrio“ hat Mercedes-Benz in den 1950ern seinen Roadster angepriesen, der es von null auf hundert in 14 Sekunden schaffte. Bis 1966 sind vom 190 SL etwa 25 000 Exemplare produziert worden. Eines davon fuhr die schwedische Schlagersängerin, für die Stuttgart zur zweiten Heimat geworden ist. Trotz des zur damaligen Zeit gewagten Kennzeichens liegt es an ihr aber nicht, warum sich der Flitzer ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt hat.

„Das ist doch das Auto der Nitribitt!“, heißt es noch heute auf Oldtimer-Börsen. Der 190 SL mit den roten Sitzen war das Markenzeichen der 1957 ermordeten Edel-Hure. Ihr gewaltsamer Tod ist im prüden Nachkriegsdeutschland der Adenauer-Ära zu einem großen Skandal geworden. Und wie prüde war Stuttgart Ende der 1950er? Mercedes-Benz hatte ihr den 190 SL geschenkt und das Nummernschild besorgt. Wahrscheinlich kannte jemand von Mercedes jemanden, der jemand bei der Kfz-Zulassung kennt. „Ich bin mit dem Nummernschild alles andere als gern herumgefahren“, erzählte sie Jahrzehnte später. Sorge habe sie gehabt, damit zu einem „falschen Image“ zu kommen.

Die Familie Lehn lebte in einem Haus mit dem Grundriss eines Flügels

„Die Blumen sind wie Bella Bimba“, sang die Schwedin. Und: „Junggesellen musst du Fallen stellen.“ Im Mai 1951 hatte sie ihr Deutschland-Debüt als Solistin im Südfunk-Tanzorchester. Zeitweise lebte Bibi Johns auch in Stuttgart. Sie war mit dem gebürtigen Stuttgarter Michael Pfleghar, dem späteren „Klimbim“-Regisseur, verheiratet.

Oft war Bibi Johns daheim bei den Lehns, woran sich Georgia Lehn gern erinnert. Groß geworden ist die Tochter quasi in einem Klavier. Ihr Vater hat sein Haus im Stuttgarter Stadtteil Schönberg im Jahr 1956 vom Rathaus-Architekten Paul Stohrer mit dem Grundriss eines aufgeklappten Flügels bauen lassen. Die Villa steht heute unter Denkmalschutz. Berühmte Köpfe der Musikszene gingen in Schönberg ein und aus – aber auch Freunde des Fußballs. „An den Wochenenden saß mein Vater entweder beim VfB im Stadion oder bei den Kickers“, erinnert sich die Tochter. Mit Joachim Fuchsberger hat er die Kickers-Hymne „Blau und weiß“ geschrieben.

Viermal wurde die SWR Big Band für den Grammy nominiert

Von 1951 bis 1992 hat Erwin Lehn das Südfunktanzorchester geleitet, danach die Big Band der Stuttgarter Musikhochschule. Von Miles Davis über Caterina Valente bis Joo Kraus – Lehns SDR-Orchester holte viele internationale Künstler nach Stuttgart. Arrangiert hat der Gründer bis zu seinem Tod. Bei der Fusion von SDR und SWF im Jahr 1998 wurde das Tanzorchester in SWR Big Band umbenannt. Viermal wurde die Band für den Grammy nominiert. Startschuss für die Formation war am 1. April 1951. „Die erste Probe setzte mein Vater aber erst für den 2. April an“, erzählt Georgia Lehn, „er hatte Sorge, man könnte sein Projekt für einen Aprilscherz halten.“ Nach der Mega-Jubiläumsgala ist die Tochter noch stolzer auf ihren Vater als ohnehin schon. Über das fulminante Geburtstagskonzert in der Porsche-Arena, sagt sie, hätte er sich sehr gefreut.