Die erste Schwulen-Demo 1979 in Stuttgart auf dem Schlossplatz Foto: Kraufmann

Vor dem Christopher Street Day, dessen Höhepunkt am 26. Juli die Parade durch die City ist, erinnert unser Geschichtsprojekt Stuttgart-Album an die Anfänge der CSD-Bewegung – 1979 gab’s die ersten Schwulendemo auf dem Schlossplatz.

Vor dem Christopher Street Day, dessen Höhepunkt am 26. Juli die Parade durch die City ist, erinnert unser Geschichtsprojekt Stuttgart-Album an die Anfänge der CSD-Bewegung – 1979 gab’s die ersten Schwulendemo auf dem Schlossplatz.

Stuttgart - Daumen nach oben! Das Foto einer zierlichen Demonstrantin mit grauen, fast schon weißen Haaren ist auf der Facebook-Seite des Stuttgart-Albums oft geteilt und mit vielen Likes bedacht worden. „Tolle Mutter“, kommentierte etwa Gudrun Anne-Charlotte Reiter. Das Lob galt einer Frau, die 1979 ein Transparent trug, das keine Fragen zuließ, sondern zwei Ausrufezeichen setzte: „Mein Sohn ist schwul! Na und!“

Es war der 30. Juni 1979 – ein historisches Datum in Stuttgart. „Denn da wagten sich unter dem Namen ,Homobefreiungstag‘ und deklariert als ,Straßentheater‘ etwa 400 Teilnehmer auf den Schlossplatz“, weiß Christoph Michl, Sprecher des Trägervereins Christopher Street Day (CSD) in Stuttgart, „sie gaben damit einer bis dato zumeist schweigenden, weil lange Zeit kriminalisierten Minderheit ein öffentliches Gesicht.“ Damals gehörte Mut dazu.

Das Jahr 1979 – zehn Jahre nach dem Aufstand der Schwulen gegen Polizeiwillkür auf der Christopher Street in New York – markiert in Stuttgart den Beginn der CSD-Geschichte. Weitere Demos gab’s 1985, 1994, ehe im Millennium-Jahr der Ansturm so groß war, dass der CSD von da an jährlich samt Parade durch die City gefeiert wird.

1994 hatte es OB Manfred Rommel abgelehnt, CSD-Schirmherr zu werden. „Die Frage der Zuneigung“, erklärte er, sei „eine Privatsache“. In den Stuttgarter Nachrichten stand über die Demo mit etwa 1000 Teilnehmern (eine Parade gab es noch nicht): „An der Kronprinzstraße versammelte sich ein buntes Völkchen. Einige hatten sich als Nonnen verkleidet, die Kondome verschenkten. Wilde Tänze zur Musik von Boy George. Mit Sicherheitsabstand verfolgten neugierige Passanten das Schauspiel.“

Die Stuttgarter Aids-Hilfe war 1985 gegründet worden. Der 5. Juni 1981 gilt als der Tag, an dem Aids bekannt wurde. An diesem Tag berichteten Wissenschaftler im Report der US-Gesundheitsbehörde von fünf jungen homosexuellen Männern, die an einer extrem seltenen Art der Lungenentzündung litten. Zwei Patienten waren beim Erscheinen des Reports bereits tot. Im April 1983 erschien ein Faltblatt der Szene-Zeitung „Schwulst“ in Stuttgart, das sich mit der mysteriösen Krankheit beschäftigte. Darin hieß es: „Auf Grund der Art des Auftretens der Krankheit schließt man einen virusähnlichen Erreger nicht aus. Hauptsächlich sind homosexuelle Männer betroffen, die viele verschiedene Partner hatten.“

Auf Einladung von Thomas Ott vom Schwulen-Buchladen Erlkönig trafen sich im Oktober 1984 etwa 25 Personen im Liberalen Zentrum. „Damals war das Ausmaß der Aids-Krise noch nicht klar“, schrieb Ott später im „Rainbow“, dem Magazin der Aids-Hilfe, „wir konnten aber spüren, wie Boulevard-Blätter Aids als Aufhänger nutzte, um schwules Leben zu diffamieren.“

Am 13. Februar 1984 ist in den Räumen des Buchladens Erlkönig – damals an der Bebelstraße im Westen – die Stuttgarter Aids-Hilfe gegründet worden. Eine der ersten Aktionen: der Start eines Beratungstelefons im Café der Drogenberatungsstelle Release. Die Angst war allgegenwärtig. Etliche Anrufer hatten Symptome wie geschwollene Lymphknoten oder Übelkeit bei sich festgestellt und glaubten, an Aids erkrankt zu sein. Es herrschten bizarre Ansichten über die Ansteckungsgefahr. Nein, ein Kuss reicht nicht für die Übertragung des Virus! Auch nicht ein Schwimmbad-Besuch!

Wenig später bot die Aids-Hilfe einen Safer-Sex-Gesprächskreis für schwule Männer an. Ein Teilnehmer erinnert sich: „Wir, acht Männer, trafen uns privat in Wohnungen. Nach der ersten Vorstellungsrunde war ich baff. Einige von uns plagte die Angst, infiziert zu sein und drei teilten mit, dass sie positiv waren. Einer davon war nicht älter als 20. In der Nacht nach dem ersten Gruppenabend schlief ich so gut wie überhaupt nicht.“ Gleich neben der Buchhandlung Erlkönig an der Bebelstraße befand sich das Jenseitz, das erste Schwulencafé der Stadt. Als es Kurt Klauser 1983 eröffnete, hagelte es Proteste. Anwohner forderten, den „Laden“ zu schließen, damit der „anständige Westen“ auch „anständig“ bleibe. Im Lauf der Jahre hatte sich Klauser aber viele Freunde in der Nachbarschaft gemacht. 2006 zog der Wirt aus persönlichen Gründen nach Berlin. Sein Partner Andrés Damián Muccini war in seiner Heimat Argentinien bei einem Raubüberfall ermordet worden. Klauser wollte weg von dem Ort, der mit vielen Erinnerungen verbunden war.

Der Jenseitz-Gründer war bekannt für seine eigenwilligen Dekorationen. An Fasching oder Halloween war kein Platz mehr in seinem kleinen Café – denn da mussten Matrosen, Dragqueens, Village-People und Diven aller Art miteinander tanzen. Was sich die Männer einst selbst zusammenschneiderten, kann heute bequem online bestellt werden: die Auswahl an preisgünstigen CSD-Kostümen im Netz ist groß – sie reicht vom Borat-Badeanzug bis zum Kondom-Kostüm mit der Aufschrift XXL.

Das Stadtmuseum und die IG CSD suchen Geschichten und Objekte aus den CSD-Anfängen und haben einen Sammlungsaufruf gestartet unter: www.csd-stuttgart.de/demonstrieren/sammlung. Am Samstag, 26. Juli, startet um 16 Uhr beim Schöttle-Platz in Heslach zum 18. Mal (seit 2000 jährlich) die CSD-Parade für gleiche Rechte und Akzeptanz.