An der Eberhardstraße werden über 2000 Horten-Alukacheln einzeln abgetragen. Foto: ubo

Bei Designfans sind sie heiß begehrt: Die Horten-Kacheln werden gerade in Stuttgart abmontiert – und danach nicht verkauft, sondern entsorgt. Aus den Plänen, sie für gute Zwecke zu versteigern, wird nichts – „aus Urhebergründen“.

Stuttgart - Quadratisch, praktisch, immer gleich: Die 50 auf 50 Zentimeter großen Kacheln, erst aus Keramik, später aus Aluminium, haben mit dem stilisierten H (H wie Horten) über Jahrzehnte deutsche Innenstädte geprägt. Die einen finden die Alublenden hässlich, lehnen sie als abschreckendes Beispiel für uniformierte Kaufstraßen ab. Anderen gefällt bis heute das „zeitlose Design“, sie machen daraus Regale oder Schmuck und rühmen die funktionalistische Raffinesse der Nachkriegsmoderne.

Seit Tagen tragen Bauarbeiter die berühmt-berüchtigten Deko-Quadrate – es sind über 2000 – an der Eberhardstraße einzeln ab. Der verkachelte Übergang und das ebenfalls verkachelte Nachbargebäude des Haupthauses von Kaufhof werden bis Ende 2021 abgerissen. Dann wird der Blick zwischen Tagblattturm und Rathaus frei. Was sich viele Sammler fragen: Wie kommt man an die alten Kacheln? Bei Ebay werden sie für 30 bis 50 Euro gehandelt – je Stück!

„Die Urheberfrage hat sich bisher nicht klären lassen“

Das hochgelobte Neubau-Quartier mit Giebelhäusern für Gastro, Büro und Wohnungen wird von LBBW Immobilie realisiert. „Wir hatten überlegt, die Kacheln für einen guten Zweck zu versteigern“, sagt Veit Mathauer von der Agentur Sympra im Auftrag der Projektentwickler. Doch „aus Urheberrechtsgründen“ sei dies leider doch nicht möglich. Das Aluminium der Kacheln wird nun entsorgt und recycelt. „Die Urheberfrage war widersprüchlich“, sagt Mathauer, „wir hätten die Kacheln deponieren müssen und warten, bis alles geklärt ist.“

Die einheitlichen Waben hatten für den Kaufhausbetreiber Helmut Horten einen praktischen Vorteil: Sie ließen sich jedem Grundriss anpassen und verdeckten unansehnliche Bauteile. Weil die Fassade keine Fenster brauchte, gab es umso mehr Stellfläche für die Waren. Weil Tauben die Nistmöglichkeiten nutzten, wurden die Alublenden später mit Drahtnetz überzogen.

Die Alu-Kacheln stehen nicht unter Denkmalschutz

Unter Denkmalschutz stehen die Horten-Kacheln von der Eberhardstraße nicht, weil sie nicht das Original aus Keramik sind. 1961 hat Architekt Egon Eiermann das Prinzip der „vorgesetzten abstrakten Fassade“ erstmals in Stuttgart für ein Warenhaus, das damals Merkur hieß, geplant. Anfang der 70er ist der Übergang an das Kaufhaus gebaut worden – mit neuen Kacheln aus Alu.

Helmut Rhode hatte das stilisierte H für einen Türgriff an der Horten-Zentrale in Düsseldorf entworfen. Seitdem wird gerätselt, ob der Urheber, sozusagen der Kachelmann, Rhode oder Eiermann ist.

Das Schocken ist im Mai 1960 abgerissen worden

Aus dem Merkur wurde Horten, aus Horten Kaufhof. Der Standort hat eine besondere Bedeutung für Stuttgart. Hier befand sich das legendäre Kaufhaus Schocken, das der Nachkriegssehnsucht nach breiten Autostraßen im Weg stand. 1960 wurde der 1928 gebaute Mendelsohnbau abgerissen. Die Warenhauskette Merkur erhielt ihren Namen 1938 nach der Arisierung des Schocken-Konzerns. Der jüdische Kaufmann Salman Schocken, den die Nazis enteignet hatten, erhielt 1949 die Aktienmehrheit an seiner Merkur-AG zurück – 1953 verkaufte er seine Anteile an den Düsseldorfer „Kaufhauskönig“ Helmut Horten. Mit ihm war das Schicksal des Stuttgarter Schockenbaus besiegelt. Horten forderte den Abbruch des Gebäudes, weil es keine Rolltreppen und keine Klimaanlage gab. Immer wieder drohte er mit dem Wegzug aus Stuttgart, was einen Verlust von Gewerbesteuer bedeutet hätte.

Der Fall Schocken gilt als große Bausünde. Dem heutigen Abriss an der Eberhardstraße wird dagegen wohl niemand nachweinen. Wer sich in den Neubau-Quartier nach der geplanten Fertigstellung im Jahr 2023 einkauft, steht laut Veit Mathauer bisher nicht fest. Die Vermarktung beginnt erst noch. Diskutieren Sie mit unter: facebook.com/Album.Stuttgart. Wer mehr zur Stadtgeschichte erfahren will, kann kostenlos den Newsletter „StZ Damals“ abonnieren unter: stzlinx.de/stzdamals.