Am Samstag feiert das Theaterhaus seinen 40. Geburtstag mit vielen bekannten Gesichtern auf der Bühne. Wir blicken auf die Anfänge einer Institution zurück, die Stuttgart selbstbewusster, kreativer und kulturell reicher gemacht hat.
Wie wär’ sein Leben ohne Theaterhaus verlaufen? Niemals so schön! Roland Baisch nennt dafür einen einleuchtenden Grund: Ebendort lernte der Entertainer seine Frau Linda Murphy kennen. In der ersten Spielstätte des gemeinnützigen Vereins in Wangen war die US-Amerikanerin in den 80ern mit dem Cirque de Barbarie aufgetreten. Ihre beiden Kinder wuchsen in diesem Umfeld auf und stehen heute selbst auf der Bühne. Als die Tochter Vanessa in jungen Jahren fragte, was denn „der Werner“ mache, den man dort immer und überall sah, antwortete der Vater: „Der Werner, Liebes, ist unser Zirkusdirektor.“
„Mit Zahnpastatuben wär’ er heute Millionär“, sagte OB Rommel
Bis heute ist der 1944 geborene Regisseur und Autor Werner Schretzmeier so etwas wie der „Zirkusdirektor“ geblieben. Rente mit 80 wär’ nichts für ihn. Dass er dicke Bretter bohren kann, hat er seit den Anfängen bewiesen. Im Team mit Kabarettist Peter Grohmann und seiner Frau Gudrun Schretzmeier ist aus einer Vision eine bundesweit einzigartige Erfolgsgeschichte geworden. Manfred Rommel, der Stuttgarter Alt-OB und Ehrenbürger, sagte einmal, Schretzmeier wäre längst Millionär, hätte er das Engagement seines Lebens nicht der Kultur gewidmet, sondern Zahnpastatuben.
Als Roland Baisch mit den Kollegen Michael Gaedt und Otto Kuhnle kürzlich im Theaterhaus mit ihrer Show „In 180 Jahren um die Welt“ aufgetreten ist, kam der Chef hinter die Bühne und grinste frech. „Wenn ich euch drei Hurgler bei der Eröffnungsrevue vor 40 Jahren gesagte hätte, in 40 Jahren tretet ihr noch immer hier auf“, sagte er, „dann hätte ihr mich für verrückt erklärt.“
Michael Gaedt, der mit der Kleinen Tierschau zu den „wichtigsten Devisenbringern“ des Theaterhauses zählte, wie er selbst sagt, sieht das ganz anders. „Träume sind doch nicht verrückt“, hält er dagegen, „ich hab’ damals geahnt, dass die Sache sehr lange gehen wird.“ Allerdings habe er damals geglaubt, „mit einem geileren Auto“ 40 Jahre später zur Geburtstagsshow zu fahren, nicht mit seinem eigenen LKW.
Seit den 1970ern waren mehrere Anläufe im Rathaus nötig, damit der am Ende doch nicht verrückte Traum von der Kulturfabrik wahr werden konnte. Von Rückschlägen ließen sich die Schretzmeiers nicht stoppen. Das Etikett „alternative Kultur“, das man im Stuttgarter Rathaus den Plänen des einstigen SDR-Journalisten und Chefs der Schorndorfer Manufaktur angeheftet hat, missfiel damals der CDU, weil etliche in der Fraktion das Wort „alternativ“ mit „links“ gleichgesetzt haben.
Die soziokulturellen Zentren sollten „eingefahrene Wege verlassen“
Zuerst stimmte die Partei von OB Manfred Rommel (er war ein Freund der neuen Ideen) gegen die finanzielle Unterstützung einer „soziokulturellen Einrichtung“, wie diese zu dieser Zeit quer durch die Republik in großen Städten wie der Frühling erwacht sind. Der noch nicht etablierten Kultur wollten die Pioniere des neuen Denkens Freiräume schaffen. Dem Theaterhaus, war damals in der Zeitung zu lesen, gehe es um „Punk-Konzerte, politisches Experimentiertheater oder literarisches Kabarett“, vor allem darum, der Jugend ihren Wunsch zu erfüllen, „eingefahrene Wege zu verlassen“. Nicht nur etablierte Opernhäuser seien förderungswürdig, so wurde argumentiert. Während sich die Welt verändere, müsse sich auch die Kultur weiterentwickeln und sich im Sinne der Demokratie politisch einmischen.
Später in einer weiteren Gemeinderatsabstimmung enthielt sich die CDU erst einmal und bewegte sich – nicht zuletzt auf Rommels Bitte – dann doch. Der 28. April 1984, Beschlussfassung um 18.08 Uhr, gilt als die Geburtsstunde des Theaterhauses: Einige (nicht alle) CDU-Stadträte stimmten mit dem OB, der SPD, den Grünen und der FDP für eine finanzielle Förderung des Theaterhauses, das sein Domizil in einer ehemaligen Fabrikhalle an der Ulmer Straße/Viehwasen in Wangen einrichten wollte – es gab exakt 491 500 D-Mark für den Verein mit dem Vorsitzenden Werner Schretzmeier.
Erinnerungen an die Eröffnungsrevue im März 1985
Die Hartnäckigkeit und raffinierte Vorgehensweise hatten sich ausgezahlt. Schretzmeier fasste mit seinem Team bereits 1980 Fuß in der Kesselstadt, als er für zehn Wochen ein Zirkuszelt auf dem Karlsplatz aufstellen ließ, in dem 33 000 Besucherinnen und Besucher unter anderem Wolf Biermann und die Rote Grütze feierten. Auch in den Messehallen auf dem Killesberg veranstalteten die Macher der Schorndorfer Manufaktur Konzerte, da ihr Ziel ganz klar Stuttgart war – die Stadt, die sie nach und nach erobert haben mit einem neuen Ansatz von Kultur.
Harald Martenstein rühmte eine „Art linkes Sommertheater“
Bei der Eröffnungsfeier des ersten Theaterhauses am 29. März 1985 entdeckte StN-Autor Joe Bauer „einen Hauch von Hollywood“ und rühmte „fast perfekten Vegas-Kitsch im Stil der 30er Jahre“. Auf Reden wurde verzichtet. Über die Premierennacht schrieb der heutige „Zeit“-Kolumnist Harald Martenstein anderntags in der Stuttgarter Zeitung: „Die Revue vereinte ein Nummern-Allerlei unter anderem mit US-Entertainer Ron Williams, der Kleinen Tierschau und einem Heino-Imitat aus Berlin-Kreuzberg zu einer Art linkem Sommertheater.“ Wunderkerzen wurden als „Spezialeffekt“ eingesetzt, war zu lesen, und ein weiterer Höhepunkt sei „ein auf dem Cello zersägtes Deutschlandlied“ gewesen.
Das Motto im neuen Haus lautete: Kultur für alle! Und immer mehr strömten – bald quasi alle! 2003 musste deshalb ein größeres Theater her – es ging in die Rheinstahlhallen am Pragsattel, in dem heute Eric Gauthier mit seinem Tanzensemble zu den Umsatzbringern zählt wie einst die Tierschau. Michael Gaedt erinnert sich, dass die bereits seit 1981 tourenden Comedians nach der Eröffnungsrevue im März 1985 vom Theaterhaus in die Pforzheimer Jahnhalle eilten, wo um 23 Uhr der nächste Auftritt anstand.
„Überbordende Kreativität hatte endlich einen festen Platz“
„Wir kommen aus einer Zeit, in der Erfolg verpönt war“, erinnert sich Gaedt. Backstage des Theaterhauses habe eine „WG-Mentalität“ geherrscht, man habe bei aller Lockerheit gemeinsam „den kulturellen Auftrag“ gespürt, mit hohen Ansprüchen etwas Neues zu schaffen, auf dass es „eines Tages zur Hochkultur zählt“. Endlich habe Stuttgarts „überbordende Kreativität“ ihren festen Platz gefunden.
Der Tierschau-Mann freut sich, dass er „zur richtigen Zeit das Riesenglück hatte“, an einer „unfassbaren Erfolgsgeschichte“ mitwirken zu können. Über 300.000 Menschen besuchen pro Jahr etwa 1000 Veranstaltungen im Theaterhaus. Der Jahresetat liegt bei 14 Millionen Euro. Die Summe wird zu etwa zwei Dritteln aus eigenen Einnahmen inklusive Sponsorengeldern aufgebracht, den Rest teilen sich Land und Stadt im Verhältnis 1:2.
Die Sommergastspiele mit der Tierschau im Park der Villa Berg, ebenfalls unter Theaterhaus-Regie, hat Michael Gaedt nicht vergessen. Noch heute werde er auf die „Erfrischungstücher“ angesprochen, die das Ostalb-Trio für seine Show „Landfunk und Scheunentrash“ anfertigen ließ. „Die Tücher waren in Pferdepisse getränkt“, erzählt Michael Gaedt, „damit es richtig schön nach Land gerochen hat.“ Der Duft nach Freiheit und Abenteuer – er möge das Theaterhaus weiterhin begleiten!
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