Blick aus dem Schwabtunnel in Richtung Degerloch vor mehr als 100 Jahren. Foto: /privat

Der Blick aus dem Schwabtunnel schweift über kaum bebaute Hügel. Passanten wandeln auf der Hauptstätter Straße – sie war noch keine Stadtautobahn. Dampfend fährt eine Lok zum Rosensteintunnel. Das alte Stuttgart lebt in faszinierenden Fotos eines Leser auf.

Es war die Zeit, als man noch keine Staus vor roten Ampeln kannte, als Kraftfahrzeuge noch in der Minderheit waren, als Pferdekutschen, Straßenbahnen und Dampfloks den öffentlichen Nah- und Fernverkehr bestimmten. Stuttgart befand sich vor mehr als 100 Jahren auf dem Weg zur Autostadt. Mit Gottlieb Daimler, Ferdinand Porsche und Robert Bosch legten hier gleich drei Pioniere den Grundstein für die bis heute erfolgreichen Unternehmen.

Wer die alten Schwarz-Weiß-Fotografien betrachtet, die zwischen 1890 und 1927 entstanden sind und die unser Stuttgart-Album aus der beeindruckenden Sammlung eines Lesers bekommen hat, sieht eine Idylle mit relativen leeren Straßenszenen, mit kaum bebauten Hügeln und einem noch ungezähmten Neckar. Diese Idylle kann freilich täuschen. Ganz ohne Probleme lebten die Menschen auch damals nicht.

Der erste Straßenbahntunnel der Welt

Eine Stadt ist im ständigen Wandel und verändert laufend ihr Gesicht. Die Fotosammlung des Lesers führt beeindruckend vor, von wo Stuttgart kommt. Wer seine Stadt verstehen will, sollte von Zeit zu Zeit in die Vergangenheit eintauchen. Beginnen wir mit dem Schwabtunnel. Bei der Eröffnung des 125 Meter langen Tunnels am 29. Juni 1896 frohlockte OB Emil von Rümelin, die Heslacher seien ab sofort „keine Stuttgarter zweiter Klasse“ mehr. Denn nun waren die Arbeitersiedlungen in Heslach nicht mehr abgeschnitten vom aufblühenden Stuttgarter Westen. Zuvor hatte man den Hasenberg umständlich umfahren oder den steilen Weg über diesen Berg nehmen müssen. Einen Platz in den Geschichtsbüchern fand der Tunnel, weil er der erste in Deutschland war, durch den ein Auto gefahren ist. Von 1902 bis 1972 war die Fahrbahn mit Schienen belegt, weshalb ein weiterer Superlativ hinzukommt: Das Bauwerk ist der erste Straßenbahntunnel der Welt.

Blick auf den Leonhardsplatz von 1927

Das Foto vom Schwabtunnel aus der Sammlung des Lesers ist zwischen 1902 und 1912 entstanden, wie auf dem Internetportal unseres Stuttgart-Albums die User rasch herausfinden. 1902 fuhr die erste Straßenbahn hindurch, 1913 ist die Schickardt-Schule fertiggestellt worden.

Mit dem nächsten Foto springen wir nach 1927. Da ist die Aufnahme entstanden, die den Leonhardsplatz zeigt, als dieser wirklich noch ein Platz war. Damit die Autos schnell durch die Stadt kommen, ist das Quartier zwischen dem Kaufhaus Breuninger und der Leonhardskirche zerlegt worden – zerteilt und auseinandergerissen. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der Leonhardsplatz in der Altstadt angelegt, als man den Friedhof an der Leonhardskirche eingeebnet hatte.

Von der Hauptstätter Straße blieb nicht viel übrig

Auch die Hauptstätter Straße erkennt man kaum wieder auf dem Foto von 1890. Menschen wandeln auf der Fahrbahn, auf der sich heute Tausende von Autos bewegen. Von der idyllischen und schmucken Häuserzeile, wie man sie auf der linke Seite des Fotos sieht, ist nicht viel übrig geblieben – sie wurde im Krieg zerstört. Auf der rechten Seite haben die Häuser zwischen dem Wilhelmsplatz und der Jakobstraße überlebt.

„Die Häuser quer im Hintergrund (Marktstraße) fielen ebenfalls dem Krieg zum Opfer“, erläutert Harald Frank dieses Foto auf der Internet-Seite unseres Stuttgart-Albums und erklärt weiter: „Rechts befindet sich der Sigmundbrunnen, der heute auf dem Wilhelmsplatz (Stuttgart-Mitte) steht. Ursprünglich stand dieser auf dem ehemaligen Bärenplatz bei der ersten Markthalle.“ 

 Und Rainer Müller schreibt: „1890, als die Hauptstätter Straße noch Großhandelsplatz war, fuhr die  ,Querlinie’ der Pferdebahn noch durch das bunte Treiben. 1897 war die Elektrifizierung der SSB abgeschlossen, nur fuhren danach keine Straßenbahnen mehr durch diese wichtige Ausfallstraße in den Süden Stuttgarts. Die Strecke wurde aufgelassen und die Züge nahmen fortan ihren Weg über den Leonhardsplatz, die Eberhard- und Tübinger Straße in Richtung Karlsvorstadt und Heslach.“

Schließlich sehen wir, wie eine Lok dampfend über  dem Neckar auf der eisernen Rosensteinbrücke im Jahr 1900 fährt - sie fährt in den Rosensteintunnnel, der 1846 direkt unter dem Schloss Rosenstein gebaut worden ist. Bis 1915 verband  dieser Tunnel, dem weitere Generationen folgten, den Stuttgarter Hauptbahnhof mit dem Bahnhof in Bad Cannstatt. Harald Frank erklärt dieses Foto weiter: „Im  Hintergrund fehlt noch das König-Wilhelm-Viadukt, das von 1896 an das Neckartal überquerte. Links die steinerne Wilhelmsbrücke, der Neckar ist noch nicht reguliert.“

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