Beisetzung auf dem Dornhaldenfriedhof ... Foto: A0009_dpa

Die Dornhalde dokumentiert deutsche Geschichte. Aus dem Schießübungsplatz der königlichen Garnison wurde ein Friedhof, in dem OB Rommel 1977 bei heftigen Protesten RAF-Mitglieder bestatten ließ. Eine Bloggerinitiative will das dortige Schützenhaus retten.

Die Dornhalde dokumentiert deutsche Geschichte. Aus dem Schießübungsplatz der königlichen Garnison wurde ein Friedhof, in dem OB Rommel 1977 bei heftigen Protesten RAF-Mitglieder bestatten ließ. Eine Bloggerinitiative will das dortige Schützenhaus retten.

Stuttgart - Auf vielen Friedhöfen informiert gleich am Eingang ein Schaukasten, wo sich berühmte Gräber befinden. Nicht so auf dem ehemaligen Schießübungsplatz Dornhalde. Von Besuchern wird deshalb seit über 30 Jahren eine Frage immer wieder gestellt: „Wo sind die Terroristen begraben?“

Meist antwortet der Friedhofsaufseher, wie er dies schon oft getan hat: „Bei uns gibt’s keine Terroristen – nur Tote.“

Am Gräberfeld 92 – am anderen Ende des Dornhaldenfriedhofs, vom Eingang aus gesehen – befindet sich eine Steinplatte mit drei Namen. Aufschrift: „Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe, Stuttgart-Stammheim 18. Oktober 1977.“ Das Grab ist gepflegt. Jemand hat rote Rosen in eine Vase gestellt. Die letzte Ruhe kommt immer und trifft jeden. Die Befürchtung in der aufgeheizten Angststimmung der 1970er, das Grab der drei RAF-Mitglieder könne zur Pilgerstätte für gewaltbereite Sympathisanten werden, ist nicht eingetreten. Ministerpräsident Hans-Karl Filbinger wollte nur der Schwäbin Gudrun Ensslin eine Beerdigung im Land gewähren. OB Manfred Rommel aber stimmte dem Gemeinschaftsgrab auf der etwas abgelegenen Dornhalde zu.

„Von Anfang an“, erinnerte er sich später, habe er gewusst, für diese Entscheidung geprügelt zu werden. Hätte er versucht, die Toten abzuschieben, schrieb der im November 2013 verstorbene Stuttgarter Ehrenbürger in seinem Buch „Trotz allem heiter“, „wäre wochenlang diskutiert worden – und die Toten wären wie fliegende Holländer herumgereicht worden“. Zur Entkrampfung trug ein Satz von Rommel bei, der bis heute immer wieder anerkennend zitiert wird: „Nach dem Tod muss die Feindschaft enden.“

Die drei Selbstmörder, die an den Erschießungen der Roten Armee Fraktion beteiligt waren, haben ihre letzte Ruhe auf einem ehemaligen Schießübungsplatz gefunden. 1858 hatte hier im Wald die Garnison des Königs neun 400-Meter-Schießbahnen angelegt. In der Nazizeit sind auf dem Schießplatz Todesurteile an Gegner vollstreckt worden. So wurde 1944 der Chordirektor und Organist Ewald Huth wegen seiner öffentlichen Warnung vor dem Nationalsozialismus hingerichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg absolvierten amerikanische Soldaten ihre Schießübungen im Wald der Dornhalde.

Der gleichnamige Friedhof entstand erst 1974. Das Schützenhaus der Garnison, das in unseren Tagen auf dem Blaustrümpflerweg, auf einem der schönsten Wanderwege auf Stuttgarts Höhen, die Blicke anzieht, ist 1880 erbaut worden. Es beherbergte die Wache und eine Wohnung für den Schießplatzaufseher. Heute steht das markante Haus, das im Besitz der Stadt ungenutzt verfällt, unter Denkmalschutz. Eine Internet-Initiative aus Bloggern setzt sich für eine neue Nutzung des Schützenhauses ein, das bis in die 1960er ein Ausflugslokal war.

Als der gebürtige Augsburger Christian Dosch im Jahr 2000 zum Studium nach Stuttgart zog, fiel ihm bei seinen Erkundungstouren unterhalb des Dornhaldenfriedhofs das im Schweizer Stil erbaute Fachwerkhaus auf, das unbewohnt war. Als Mitglied im städtischen Ausschuss für Kultur und Medien sowie mit der Initiative Occupy Villa Berg setzt er sich heute für einen anderen Umgang mit Räumen der Stadt ein. Beim Spaziergang in den Wäldern kam er kürzlich erneut am Schützenhaus vorbei und wunderte sich, dass es noch immer leer steht. Dosch stellte einen Blog unter http://garnisonsschuetzenhaus.wordpress.com ins Netz, der auf großes Interesse gestoßen ist.

Etliche Ideen sind eingegangen, wie man dieses Kulturdenkmal vor dem Verfall retten könnte, das die Stadt in den 1970ern vom Bund gekauft hatte und in dem zuletzt ein Friedhofsgärtner mit Familie wohnte. Ateliers für junge Künstler werden für das einstige Schützenhaus vorgeschlagen, ein „Haus der Ruhe“ oder ein Museum für Toleranz (wegen des berühmten Rommel-Zitats zur Bestattung der RAF-Mitglieder). Auch ein Ausfluglokal gehört zu den Überlegungen.

Unterhalb des seit Jahren leerstehenden Backsteinhauses, das an einen alten Bahnhof erinnert, befindet sich ein eigenartiger Holzturm ohne Fenster. Viele fragen sich: Was ist das? Es ist der Abluftkamin des Heslacher Tunnels. Laut Amt für Umweltschutz wird die mit Autoabgasen belastete Luft von Ventilatoren in diesen zentralen Kamin geleitet, der 80 Meter über dem Tunnel am Rande des Waldgebietes beim Dornhaldenfriedhof endet. Weil die Abgase mit hoher Geschwindigkeit über den Bauwipfeln hinausgeblasen werden, sei die Luftbelastung in unmittelbarer Nähe nicht gefährlich, heißt es im Rathaus.

Die Idylle eines Wanderwegs, der qualmende Beweis für die PS-Stärke der Autostadt, die Erinnerungen eines auch von Nazis genutzten Schützenhauses und ein Gemeinschaftsgrab, das deutsche Geschichte dokumentiert – auf der Dornhalde lässt sich erkunden, was Stuttgart ausmacht. In dieser Stadt blüht es – und ist es auch dornig.

Das Stuttgart-Album ist im Silberburg-Verlag als Buch erschienen. Schicken Sie Fotos an: info@stuttgart-album.de.