Die Nordseite des Hauptbahnhofs in den 1920ern Foto: Sammlung Udo Becker

Als „Nabel der Schwaben“ hat Paul Bonatz seinen Bahnhof bezeichnet, in den 1922 der erste Zug fuhr. StN-Leser Udo Becker sammelt emotionale Zeugnisse von Stuttgart. Ein Meisterwerk der Architektur ruft quer durch die Zeiten Erinnernungen wach.

Stuttgart - Ein Kiosk stand vorm Nordflügel des Hauptbahnhofs, drum herum parkten die ersten Taxis im Halbkreis. Meist handelte es sich dabei um umgebaute Pferdedroschken. Wir befinden uns in den 1920er Jahren. „Mit verhältnismäßig schwachem Motor fuhren die Wagen durch die Stadt“, schrieb der „Schwäbische Merkur“. Aber auch Pferdekutschen gehörten zum Verkehrsgeschehen, wie das alte Foto beweist.

Manche meinen, das sei die gute alte Zeit gewesen. Noch ging kein Riss durch die Stadt. Keiner wusste etwas von Stuttgart 21. Der Bahnhof ist ein Ort des Abschieds und der Begrüßung, ein Ort der Hektik und der Sehnsucht. Längst ist er tief im Kessel auch zu einem Ort des Protestes geworden.

StN-Leser Udo Becker sammelt emotionale Dokumente der Stadtgeschichte. Er sammelt den Bonatzbau in allen Epochen. Auf seinen Postkarten sieht man den Bahnhofsturm mit und ohne Stern, man sieht, wie der Verkehr zunimmt, wie die Hügel immer mehr bebaut werden, wie der Bahnhof noch nicht flügellahm war, wie die Straßenbahn oberirdisch fuhr – auf begrünten Schienen.

Das Stuttgart-Album verdankt Udo Becker fotografische Schätze, die von der Zentrale des Reisens stammen – jetzt können wir mit diesen großartigen Aufnahmen zur Zeitreise aufbrechen.

1922 werden die ersten vier Bahnsteige dem Verkehr übergeben

Zu Bauzeiten war er umstritten, doch längst ist man sich einig: Der Bonatzbau ist ein Meisterwerk der Architektur.

Paul Bonatz ist 33 Jahre alt, als er sich 1910 mit seinem Kollegen Eugen Scholer im Architektenwettbewerb gegen 70 Konkurrenten durchsetzt. Seinen Entwurf für den Hauptbahnhof nennt er „Umbilicus Sueviae“, den „Nabel Schwabens“. Seine Auftraggeber verwerfen ihren Plan, einen Durchgangsbahnhof mit umfangreichen Tunneln zu bauen – denn 95 Prozent der Reisenden geben an, Stuttgart sei ihr Ziel. 1922 werden die ersten vier Bahnsteige des Hauptbahnhofs dem Verkehr übergeben. Sechs Jahre später ist die gesamte Anlage mit 16 Gleisen fertig.

Bei der zeitlichen Einordnung der Fotos gibt’s einen wichtigen Anhaltspunkt: 1952 ist der Mercedes-Stern auf den Bahnhofsturm gekommen. Mit einem Pferdefuhrwerk hatte man ihn angeliefert und mit Seilwinden hinauftransportiert. Auf den Fotos der 1930er Jahre herrscht ein reges Treiben mit Straßenbahnen, Autos und Fußgängern. Ein Polizist, der in der Mitte des Platzes erhöht in einem Rondell steht, regelt den Verkehr.

Der Bahnhof ist ein Ort des Abschieds und der Wiedersehensfreude. Auch in Zukunft wird man Freude spüren, wenn alte Bahnhofsbilder Heimatgefühle zurückrufen.

Im Silberburg-Verlag sind zwei Bücher zu unserem Stuttgart-Album erschienen. www.facebook.com/Stuttgart.Album