Das Foto aus dem Jahr 1958 hat sich im Internet rasch verbreitet Foto: Mercedes

Ein Foto und sein Geheimnis: Über die Facebook-Seite des Stuttgart-Albums hat sich im Internet das Bild einer blonden Frau im Mercedes 190 SL rasch verbreitet. Ihr Kennzeichen: „S-EX 666“. Die Spur führt zur Sängerin Bibi Johns.

Stuttgart - Ein Foto und sein Geheimnis: Über die Facebook-Seite des Stuttgart-Albums hat sich im Internet das Bild einer blonden Frau im Mercedes 190 SL rasch verbreitet. Ihr Kennzeichen: „S-EX 666“. Die Spur führt zur Sängerin Bibi Johns.

Als „elegantes Flaniercabrio“ hat Mercedes-Benz in den 1950ern seinen Roadster angepriesen, der es von null auf hundert in 14 Sekunden schaffte. Bis 1966 sind vom 190 SL etwa 25 000 Exemplare produziert worden. Eines davon fuhr die schwedische Schlagersängerin Bibi Johns, für die Stuttgart zur zweiten Heimat geworden ist. Trotz des zur damaligen Zeit gewagten Kennzeichens liegt es an ihr aber nicht, warum sich der Flitzer ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt hat.

„Das ist doch das Auto der Nitribitt!“, heißt es noch heute auf Oldtimer-Börsen. Der 190 SL mit den roten Sitzen war das Markenzeichen der 1957 ermordeten Edel-Hure. Ihr gewaltsamer Tod ist im prüden Nachkriegsdeutschland der Adenauer-Ära zu einem großen Skandal geworden.

Und wie prüde war Stuttgart Ende der 1950er? Was dachte man über Frauen, die sich mit „S-EX 666“ auf die Straßen trauten? Auf der Facebook-Seite unseres Geschichtsprojekts Stuttgart-Album hat Tobi von Heart den weißen Mercedes 190 SL gepostet, der aus einer Zeit stammt, als es noch gar keine Wunschkennzeichen gab.

S-EX liegt in der Luft – nicht nur auf dem Nummernschild. Das Foto der Blonden im weißen Mercedes 190 SL hat sich im Internet rasant verbreitet. Ist es überhaupt echt? So fragten etliche Kommentatoren. Auf den anderen Autos im Hintergrund würde man gar keine Stuttgarter Kennzeichen erkennen. „Wahrscheinlich wurde das Foto in Schweden gemacht“, vermutet Thomas Wüst.

Wenn es jemand wissen müsste, dann Bibi Johns. Die Recherche begann.

„Die Blumen sind wie Bella Bimba“, sang die Schwedin. Und: „Junggesellen musst du Fallen stellen.“ Im Mai 1951 hatte sie ihr Deutschland-Debüt als Solistin im Unterhaltungsorchester des SDR. Dessen Dirigent Erwin Lehn war ihr musikalischer Begleiter über Jahrzehnte hinweg. Zeitweise lebte Bibi Johns auch hier. Sie war mit dem gebürtigen Stuttgarter Michael Pfleghar, dem späteren „Klimbim“-Regisseur, verheiratet und mit der Silberpfeil-Legende Hans Herrmann Ende der 1950er liiert.

Ihr früherer Lebenspartner Herrmann, mit dem sie heute noch befreundet ist und dessen Nachbar in Maichingen sie fast geworden wäre (das Grundstück war schon gekauft), hat uns zu einem Telefongespräch mit der Sängerin verholfen. Bibi Johns, die im kommenden Januar 86 Jahre alt wird, lebt in München und denkt gern an ihre Stuttgarter Zeit zurück, wie sie uns am Telefon versichert.

Doch wie kam sie zu dem Flitzer mit dem besonderen Kennzeichen? Oder war das Foto nur ein Fake, wie man heute sagen würde? Eine Bildmontage oder ein falsches Kennzeichen für das Cover ihrer Platte, die 1958 mit S-EX 666 erschienen ist?

„Nein, das Kennzeichen und das Auto gab es wirklich“, verrät sie uns. Mercedes-Benz habe ihr den 190 SL geschenkt und das Nummernschild besorgt. Wahrscheinlich kannte jemand von Mercedes jemanden, der jemand bei der Kfz-Zulassung kennt.

Nach über fünf Jahrzehnten kann es Bibi Johns endlich öffentlich zugeben: „Ich bin mit dem Nummernschild alles andere als gern herumgefahren.“ Sorge habe sie gehabt, damit zu einem „falschen Image“ zu kommen. Heute fährt sie übrigens keinen Mercedes mehr, sondern einen Volvo.

„Mir geht es gut“, sagt sie. Nach ihrer Sängerkarriere hat sich die Schwedin als Malerin viele Freunde gemacht und ist als Tierschützerin aktiv, unterstützt etwa das bundesweit bekannte Gut Aiderbichl, einen Gnadenhof der besonderen Art.

Den Kontakt mit ihrem Ex-Freund hält sie immer noch – und ist auch mit dessen Frau Magdalena Herrmann befreundet. Ein Jahr lang waren der Rennfahrer und die Sängerin ein Paar. Damals überlegten die beiden sogar, gemeinsam die Zelte aufzuschlagen, wie der Journalist Tim Schweiker in seinem Buch „Mercedes, Beat und Kegelbahn – Geschichten und Anekdoten aus Sindelfingen“ sehr schön beschreibt: Durch den Tipp eines befreundeten Regierungsbaudirektors kauft Herrmann ein Grundstück in der Landhaussiedlung in Maichingen. Doch Geld zum Bauen hat er noch nicht.

Weil unbebaute Grundstücke nach einer gewissen Zeit an die Gemeinde zurückgegeben werden mussten und der Bürgermeister deswegen mehrfach bei Hans Herrmann nachhakt, bekommt der Architekt schließlich einen klaren Auftrag: „Bau mir das kleinste Haus, das man da bauen kann.“

Bibi Johns kauft in der Nachbarschaft ebenfalls ein Grundstück – für 25 Mark pro Quadratmeter. Gewohnt hat sie in Maichingen nie. Sie war im Stress und ständig unterwegs. Nach drei Jahren gibt sie das Grundstück an die Gemeinde zurück. „Man muss sich mal vorstellen, was das Grundstück heute wert wäre“, sagt sie, „aber ich war halt eine brave Bürgerin.“

Die Beziehung mit Herrmann ging in die Brüche. Der Rennfahrer lernte 1960 auf dem Nürburgring seine spätere Frau Magdalena kennen. Die hielt in all den Jahren zu ihm, obwohl das nicht leicht war, wie sie sagt. Fahrer in den schnellen Autos waren bei gewissen Frauen sehr begehrt. „Heute heißen diese Frauen Boxenluder“, sagt Magdalena Herrmann, „damals nannte man sie Wanderpokal.“ Aber das ist schon lange her. Fotos wie der 190 SL von Bibi Johns erinnern an eine Zeit, als die Blumen zwar wie Bella-Bimba waren, aber die Männer wie eh und je vor allem eines im Kopf hatten: „S-EX“.

Die Bücher „Stuttgart-Album“ und „Stuttgart-Album Vol. 2“ sind im Silberburg-Verlag erschienen. Infos unter: www.facebook.com/Album.Stuttgart.