Marken der Firma Bleyle. Foto: Sammlung Wolfgang Müller

Es sind kleine Kunstwerke der Grafik: Reklamemarken erlebten vor 100 Jahren ihre Blütezeit. Wolfgang Müller hat die Mini-Schätze mit gezacktem Rand dem Stuttgart-Album anvertraut. Sie erzählen viel von früher und weckten den Sammeleifer wie heute die Panini-Bilder.

Stuttgart - Drei Buben sitzen auf einem Pferd und halten die Fahne hoch. „Wir tragen Bleyle“, steht da drauf. Das Erfolgsprodukt der 1889 gegründeten Stuttgarter Strickwarenfabrik Bleyle, die 1988 Konkurs anmelden musste, war ein halbes Jahrhundert lang der Matrosenanzug für Knaben.

Gründer Wilhelm Bleyle, ein Degerlocher, hatte mit drei Mitarbeitern angefangen – und belieferte mit seiner wachsenden Firma bald das halbe Land. Vor dem Ersten Weltkrieg liebten die Mütter den Knabenanzug für ihre Söhne, weil sie ihn so praktisch fanden. Kaputte Strickkleider von Bleyle konnten leicht geflickt werden. Viele Träger aber klagten, das kratze alles so sehr.

Ein Spiegel von Handel und Wandel

Ob drei Bleyle-Buben in den Anzügen auf dem Pferd oder spielende Kinder mit Eszet- und Waldbaur-Schokolade – Anfang des 20. Jahrhunderts gab es kaum eine Stuttgarter Firma, die nicht auf Marken für sich geworben hat. Gewissenhaft schufen Grafiker kleine Kunstwerke, die zu begehrten Sammelobjekten geworden sind, wie man dies heute von den Panini-Klebebildern kennt. Stadtwappen, Landschaften, Tiere, Konsumartikel, Sehenswürdigkeiten, wichtige Ereignisse der damaligen Zeit – alles ist auf Marken ohne postalischen Wert zu sehen. Große Firmen beauftragten renommierte Künstler mit der Gestaltung.

„Der Höhepunkt der Beliebtheit von Reklamemarken lag in den Jahren 1900 bis 1920“, weiß Wolfgang Müller, der unserem Stuttgart-Album die Schätze seiner umfangreichen Sammlung anvertraut hat. Reklamemarken wurden nicht für die Frankierung von Briefen und Paketen verwendet, sie dienten dem Verschließen oder Verschöneren von Briefen.

„Die Marken sind ein Spiegel von Handel und Wandel“, sagt Müller. Wenn Kunden einen Konsumartikel gekauft hatten, bekamen sie Marken als „Bildchenrabatt“. Nicht nur bei Kindern ist damit der Sammeltrieb geweckt worden. „Viele Firmen streuten Marken durch gezielten Versand, durch Aufkleben auf Geschäftspapieren oder durch die Verteilung an Vereine und Institutionen aller Art“, erklärt der Sammler, der sich unter anderem für das Stadtmuseum engagiert. Ziel der Markenhersteller war es, möglichst hohe Auflagen zu erzielen.

Werbung für „Parkett- und Linoleum-Wichse“

So warb die Firma A, Mayer vom Stuttgarter Marktplatz für „Parkett- und Linoleum-Wichse“, Die Stadt Stuttgart gab Serien mit ihren Sehenswürdigkeiten heraus. „Besucht Stuttgart“ steht auf einer Marke, auf der das Alte Schloss abgebildet ist. Ausflugsziele der Schwäbischen Alb waren ebenso begehrte Motive wie Gehrockanzüge und Lodenmäntel.

Als die Kleidung noch nicht zum Großteil in Fernost hergestellt worden ist, gab es unter anderem Glass & Wels an der Marienstraße 9, das „größte Spezial-Geschäft Stuttgarts für Herren-, Jünglings- und Knabengaderobe“, das im Sortiment eine große Auswahl Livréen, Jagd-, Sport- und Berufskleidung aus heimischer Produktion hatte. In der Maßabteilung konnte man sich Anzüge zum Preis von 48 bis 78 Mark anfertigen lassen. So steht’s im Katalog von Glass & Wels aus dem Jahr 1904. Die Beinkleider aus diesem Haus findet man auf den alten Marken. Bei Ebay erzielen die Sammelobjekte früherer Zeiten sehr unterschiedliche Preise.

Wie bei Briefmarken gibt es aber auch seltene Schätze darunter, die teuer gehandelt werden. Nach Schätzungen sind in Deutschland bis 1914 etwa 250 000 verschiedene Reklamemarken erschienen. Ende des Ersten Weltkriegs wurden sie durch die aufkommenden Zigarettenbilder abgelöst. Nur noch zu Ausstellungen und besonderen Veranstaltungen hat man die einst so beliebten Marken hergestellt.

Die letzten bedeutenden Auflagen stammen aus den 1960ern. Das Feld war geräumt für Panini. 1961 hat im italienischen Modena ein neuer Siegeszug begonnen.

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