Eine der größten Herausforderungen für die Betreiber der Schlyerhalle war Ende der 1980er Opernstar Luciano Pavarotti. Foto: dpa

Die englische Königin war ein Double, aber die Band Queen mit Freddie Mercury echt: In der Schleyerhalle, die heute den 30. Geburtstag mit Saga feiert, waren schon viele Stars – 1983 wurde Gotthilf Fischer mit der falschen Monarchin reingelegt. Das Stuttgart-Album sucht nach weiteren Höhepunkten.

Stuttgart - Tusch! Das Jahr des Aufbruchs! 1983 war Stirlings Staatsgalerie fast fertig, die Stadt bekam ein neues Kammertheater, in Wangen machte sich eine Kulturfabrik mit dem Namen Theaterhaus zum Start bereit – und auf dem Wasen fuhren Trucks 120 Tonnen Technik in eine eben fertiggestellte Arena, um darin den ersten großen Rockzirkus mit der kanadischen Band Saga zu feiern. Joe Bauer notierte am 4. Oktober 1983 in den Stuttgarter Nachrichten: „In Stuttgart beginnt eine neue Ära!“

Konzertveranstalter Michael Russ war glücklich. Von nun an, frohlockte er, würden die „großen Acts“ nicht mehr an Stuttgart vorbeiziehen. Zuvor hatten die Könige der Popwelt Dortmund (die Westfalenhalle) und München (die Olympiahalle) im Visier. Schon 1979 war im Stuttgarter Gemeinderat der Grundsatzbeschluss für die Sport- und Konzerthalle gefallen, die man nach dem ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer benannte. 44 Millionen Mark sollte der Neubau kosten – am Ende waren es 68 Millionen Mark.

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An jenem 4. Oktober 1983 sollte die neue Halle, die mit 10  300 Zuschauerplätzen als „größte in Europa“ galt, ihre Bewährungsprobe als Rockbühne bestehen. Als erste Band rockten die Kanadier von Saga los. Das Ergebnis fiel zwar nicht euphorisch, aber doch ganz ordentlich aus. Der Zeitungskritiker Reinhold Utzmeter urteilte: „Die Schleyerhalle ist, was die Akustik betrifft, nicht besser oder schlechter als vergleichbare Hallen in Dortmund, Frankfurt oder München. Wer es im Innenraum länger aushalten will, wird auf Ohropax nicht verzichten können.“ Der Band Saga bescheinigte er „eine perfekte Show, in der Gitarren-Spagate, Nebeleffekte und Macho-Posen des Sängers, einer schicken Diva im weißen Overall, nicht fehlen dürfen“.

30 Jahre und 3300 Veranstaltungen (mit über 17 Millionen Besuchern) später spielt Saga (mit vier Bandmitgliedern von damals und einem neuen) an diesem Freitag am selben Ort noch mal. Die Kanadier sind gegen 21 Uhr Stargäste der SWR-1-Hitparade, die zum Finale in die Schleyerhalle trommelt. Die Messe lädt davor gegen 18 Uhr etwa 400 Gäste zum Geburtstagsempfang ein, den Kabarettist Christoph Sonntag moderiert.

Unvergessen ist bei den Besuchern des Stuttgart-Albums, jener Facebook-Seite, die zur Zeitreise in die jüngere Vergangenheit der Stadt einlädt, das Saga-Konzert von 1983. „Als Vorgruppe war damals Chris Rea mit seiner Band dabei, der später selbst weltberühmt wurde“, schreibt H. Ans Dampf. Auf dem Foto des Schleyerhallen-Auftritts anno 1983 ist Saga-Sänger Michael Sadler, damals 29 Jahre alt, zu sehen. „Heute ist er 59 und hat keine Haare mehr“, wie der Internet-Kommentator weiß.

2007 hatte Sadler Saga verlassen – vor einem Jahr ist er zurückgekehrt. In drei Jahrzehnten hat die Schleyerhalle viele Auf- und Absteiger erlebt. Bei den ersten Auftritten von Nena im Jahr 1984 und Kool & The Gang im Jahr 1986 war die Poparena ausverkauft. 1984 musste wegen großer Nachfrage das Konzert der Scorpions von der Sporthalle Böblingen in die Schleyerhalle verlegt werden. Den Besucherrekord hält Tina Turner. Vom 4. bis zum 7. Mai 1987 füllte sie die Halle viermal mit 52 000 Fans. Dreimal hintereinander bekam Phil Collins 1993 die Arena voll. Im selben Jahr traten hier zum ersten Mal Stuttgarter an – ein euphorisch bejubeltes Heimspiel der Fantastischen Vier. Und selbst geheiratet wurde hier. 1997 feierte ein türkisches Brautpaar mit 1200 Gästen – an Platz zum Tanzen fehlt es im 4000 Quadratmeter großen Innenraum nicht.

TV-Moderator Thomas Gottschalk wäre lieber nicht gekommen

Eine der größten Herausforderungen für die Hallenbetreiber war Ende der 1980er Opernstar Luciano Pavarotti. Vor seinem Auftritt ließ sich kein Sessel auftreiben, in den der wohlbeleibte Italiener gepasst hätte. Als Neil Diamond im Juli 1984 vor halb voller Halle sang, mussten Vorhänge die leeren Sitzreihen verdecken. Der US-Sänger fand’s gar nicht lustig. Fast hätte im Februar 1987 die Rockgruppe Deep Purple ohne ihren Gitarristen Ritchie Blackmore auskommen müssen. Der Musiker hatte seinen Hallenpass vergessen und wurde beim Zutritt von einem Ordner festgehalten.

Von Dire Straits bis Paul McCartney, von Robbie Williams bis Elton John, von Cher bis Barclay James Harvest – die Besucherliste ist ein Who’s who der Popgeschichte. Aber auch Sportgrößen wie Boris Becker (beim ATP-Tennisturnier) waren hier. Bei der Niederlage von Boxer Axel Schulz im Dezember 1995 im WM-Kampf gegen François Botha flogen im Publikum die Fäuste und die Flaschen.

TV-Moderator Thomas Gottschalk wäre lieber nicht gekommen. Der Betrug mit Buntstiften in seiner Show „Wetten, dass . . .“, 1988 live aus der Schleyerhalle gesendet, hat Fernsehgeschichte geschrieben. Für die Verantwortlichen angenehmer fiel die kleine Schummelei aus, die sich Kurt Felix im Eröffnungsjahr 1983 für seine Show „Verstehen Sie Spaß?“ mit Chordirigent Gotthilf Fischer erlaubte.

Mitten rein in die Schleyerhalle ließ er eine Mercedes-Limousine steuern, während Fischer und sein Chor probten. Aus dem Auto stieg eine Dame, die alle erstarren ließ – doch es war ein Double der Queen.

Das Stuttgart-Album, die Zeitreise in die jüngere Vergangenheit der Stadt, ist im Silberburg-Verlag als 160-seitiger Bildband mit Texten von StN-Redakteur Uwe Bogen und aktuellen Fotos von Thomas Wagner erschienen. Der Designer Manuel Kloker hat das Buch gestaltet. Weitere Infos unter www.stuttgart-album.de und www.facebook.com/Album.Stuttgart