Der alte, 1901 eröffnete Friedrichsbau Foto: StN

Der Friedrichsbau feiert den 20. Geburtstag seines Neustarts in der L-Bank. Das Stuttgart-Album erinnert an die lange Tradition des Varietés in Stuttgart.

Stuttgart - Wer auf der Stelle tritt, schafft keinen Salto. Diese Weisheit kannte man schon im alten Friedrichsbau, der 1901 eröffnet worden ist und eine große Tradition begründet hat. Zum 20. Geburtstag der neuen Varieté-Bühne blicken wir zurück auf die hohe Kunst der Vielfalt.

Bei der Jubiläumsshow zum 20. Geburtstag dürfte nun der Oscar vom Himmel zufrieden runterschauen. Sein geliebtes Varieté hatte harte Zeiten hinter sich, muss ungewollt die Bühne der Rotunde der L-Bank verlassen, um in seiner über 100-jährigen Tradition auf dem Pragsattel wieder mal einen Neuanfang zu starten – ist aber immer noch schööön!

Heiler und Reichert alias Häberle und Pfleiderer – dem ungleichen Humoristenpaar hat Bildhauer Rudolf Kurz beim Eingang der Rotunde ein Denkmal gesetzt – hatten im 1901 eröffneten Friedrichsbau an der Ecke Schlossstraße/Friedrichstraße bis zum Bombenangriff im Jahr 1943 Triumphe gefeiert. Das fünfstöckige Jugendstilhaus, von Brauereichef Ernst Wulle erbaut, befand sich fast an derselben Stelle. Neben Büros beherbergte es im ersten Stock einen 800 Personen fassenden Theatersaal. Hier ließ der große Kassner als erster Zauberer der Welt einen Elefanten verschwinden, hier verblüffte Enrico Rastelli, der König der Jongleure, hier rief Clown Grock sein legendäres „Nit möööglich!“.

Das Publikum im Friedrichsbau, fand der Kabarettist Uli Keuler für seine Dissertation heraus, war „gutbürgerlich, das Ambiente prunkhaft, aber nicht mondän“. Im Parterre befand sich ein Bierrestaurant. Eine Marmortreppe führte hinauf in den ersten Stock – in die Traumwelt eines mit Weiß und Gold geschmückten Theatersaals, mit viel Stuck, Putten, Blumen. Das Stuttgarter Varieté, das monatlich das Programm wechselte, galt als führend in der Republik. Niemand anders trat hier so oft auf wie Oscar Heiler und Willy Reichert.

Für den damals 87-jährigen Heiler war der Premierenabend im neuen Friedrichsbau im Februar 1994 deshalb ein besonders großes Glück. Es habe sich doch noch gelohnt, 87 zu werden, sagte er dem damals 32-jährigen Max Raabe, dem Moderator der Eröffnungsshow. Es war ein Jahr vor Heilers Tod. Die Jüngeren mochten an ihm seine offenen Worte. Zuletzt sei er „verdrossen“ und „müde vom Leben“ gewesen. Einsamkeit, Schmerzen, Krebsoperationen – an diesem Abend war alles vergessen.

Vergessen! In seinen besten magischen Momenten zieht uns das Varieté weit weg von kleineren oder größeren Sorgen, zaubert gute Laune herbei, lässt uns begreifen: Das Leben kann so leicht sein, eben so schööön.

Der alte Friedrichsbau hatte für die Verbreiterung der Theodor-Heuss-Straße weichen müssen. Die Ruine wurde nicht aufgebaut, sondern 1955 abgerissen. 1949 hatte im nahen Metropol-Gebäude ein privates Varieté eröffnet, das 1960 geschlossen wurde. Es dauerte 20 Jahre, bis 1980 das städtische Varieté auf dem Killesberg an den Start ging. Bis 1991 pilgerten die zahlreichen Stuttgarter Varieté-Fans dorthin, 1992 wurde die Bühne in ein Zelt an der damaligen Neckarstraße und heutigen Willy-Brandt-Straße verlegt – der Platz erwies sich als ungeeignet. Rasch war alles vorbei.

Dann aber taten sich der Stuttgarter Musicalunternehmer Rolf Deyhle, der Berliner Tourorganisator Peter Schwenkow und der Wiener Illusionsprofi André Heller zusammen. „Kapriolen“, so hieß 1994 ihre erste Show im neuen Friedrichsbau. Es sollten bis heute viele Kapriolen folgen. Das Trio der ersten Stunde hat sich schon lange zurückgezogen. Die L-Bank hatte nach 20 Jahren genug vom Varieté, schickte die Kündigung. Jetzt gibt es eine gemeinnützige Betreibergesellschaft. Mit Unterstützung der Stadt bereitet Gabriele Frenzel, seit 20 Jahren die Chefin im Ring, mit ihrem neuen Geschäftsführerkollegen Timo Steinhauer, 33, den Umzug in ein neues Holzhaus auf einem städtischen Gelände neben dem Theaterhaus auf dem Pragsattel vor.

Frecher und jünger darf das Varieté werden, um der großen Tradition gerecht zu werden. Wer auf der Stelle tritt, schafft keinen Salto, wusste man schon im alten Friedrichsbau, das als Haus der Neuheiten und Sensationen galt. Oscar kann zufrieden vom Himmel runterschauen: „Varieté schööön!“

Das Stuttgart-Album ist als Buch im Silberburg-Verlag erschienen.