Die 1959 gegründete Lerche war eine Institution in Stuttgart. Im Jahr 2004 musste sie für immer schließen. Foto: StZ-Archiv

Die Plastiktüte ist ein Auslaufmodell. Auf Ende dieses Jahres ist sie endgültig verboten. Unser Stuttgart-Album erinnert an bunte Exemplare und an verschwundene Läden, die darauf geworben haben.

Stuttgart - Bald ist sie Vergangenheit, die Plastiktüte. Es wird auch höchste Zeit! Der Plastikabfall verschmutzt auf beängstigende Weise die Meere, gefährdet die Tiere, die Natur, unsere Nahrung. Im vergangenen November hat das Bundeskabinett das Verbot der Plastiktüte beschlossen (mit Ausnahme der besonderes dünnen Exemplare für Obst). Bis Ende dieses Jahres muss die bunt bedruckte Tüte aus Polyethylen in Deutschland verschwunden sein. Sie war über Jahrzehnte eine tragbare Werbefläche und wurde zum Symbol des Wirtschaftswunders und der Wegwerfgesellschaft.

Es ist vorbei, Plastiktüte, bye-bye! Unser Stuttgart-Album zeigt bunte Exemplare, die unvergessen sind und Erinnerungen wecken. Beginnen wollen wir allerdings mit einer Tragtasche aus Papier.

Die ersten Plastiktüten gab es 1961

Die rote Barth-Tüte in unserer Sammlung (siehe Bildergalerie) stammt aus den 1950er Jahren, aus dem „Haus der Schallplatte“, also vor der Plastik-Ära. 1961 gab das Kaufhaus Horten in Neuss die ersten Plastiktüten aus. Sie wurden damals Hemdchentüten genannt, weil die Träger wie die eines Unterhemds aussahen. Vom legendären Musikhaus Barth am Rotebühlplatz waren später auch viele Plastiktüten unterwegs, ehe es 1996 für immer geschlossen hat.

Aus dem Nachlass ihrer Mutter hat uns Kristina Nehm Fotos von sehr vielen Plastiktüten geschickt. Früher hat man nichts weggeworfen, bewahrte die Tüten auf, in der festen Absicht, sie mal wieder zu verwenden. Auf den Fotos sehen wir Firmennamen, die in Stuttgart längst verschwunden sind. Die Dschunke beispielsweise, ein Laden mit Ostasienimport, lockte von Mitte der 1970er bis Anfang der 1980er in die Hirschstraße.

Selbst das Nashorn trug Jeans

Regine Hugendubel erinnert sich im Facebook-Forum unseres Stuttgart-Albums: „In dem Shop hat es immer sehr exotisch geduftet. Es gab ausgefallene Deko aus Asien und heiße Klamotten. Mein Lieblingsstück war ein schwarzes Kimono- Jacket mit roten Schriftzeichen und einem Drachen. Damals total hip und mein Urlaubsdress für Südfrankreich in den 1970ern.“ Weitere Tüten in der Sammlung von Kristina Nehm sind von der Landesgirokasse, A & O, Nanz, Hirrlinger und von vielen mehr.

Selbst das Nashorn trug Jeans. Damit hat Wrangler geworben - auch für seinen Shop in Degerloch. Das Foto stammt aus einer tollen Ausstellung: „Adieu Plastiktüte“ heißt es noch  bis zum 8. November in Waldenbuch.

Abfall oder Kulturgut?

Fast 50.000 Plastiktüten  aus der Zeit von 1968 bis 2010 sind dem Museum der Alltagskultur aus zwei Privatsammlungen anvertraut worden. Hier geht man nun der Frage nach: „Abfall oder Kulturgut?“  Wie so oft ist die Wahrheit nicht immer eindeutig. Was Abfall ist, kann gleichzeitig Kulturgut sein. Die Sonderausstellung  „Adieu Plastiktüte!“ widmet sich dem umstrittenen Alltagsgegenstand in positiver wie auch in negativer Hinsicht. Zu sehen sind faszinierende Designs, kuriose Kompositionen und originelle Werbesprüche. Aber auch die Fakten zur Umweltproblematik werden beleuchtet. Die Ausstellung hat sich als wahrer Besuchsmagnet erwiesen und ist deshalb verlängert worden.

 Für die Plastikherstellung wird Erdöl benötigt, ein knapper Rohstoff - und dann landet am Ende fast alles in den Meeren, in Flüssen, in Parks, in Tieren, in unserer Nahrung. Es hat lange gedauert, bis die Bundesregierung die Konsequenzen daraus zieht. Schon in den 1980er Jahren ist die Kampagne „Jute statt Plastik“ entstanden. Bis die Plastiktüten sich in der Natur zersetzen, kann das Hunderte bis Tausende von Jahren dauern. Aber ins Museum gehören die bunten Dokumente von wirtschaftlich erfolgreichen Jahren. Die emotionale Beziehung ist oft groß.

Mythen in Tüten

Die Plastiktüte ist ein Auslaufmodell. Es gibt kaum jemand, der nicht schon mal das knisternde Ding benutzt hat. Lerche, Barth, Govi, Diskus oder Radio Strässer  - wer kennt sie noch? Diese Stuttgarter Musikläden sind Legende. Ihre Tüten werden noch heute wie Schätze aufbewahrt.

Mythen in Tüten. Wer in der Lerche eingekauft hatte, trug seine Beute in bunten Plastiktüten zufrieden nach Hause. Damals waren die Tonträger so groß wie eine Pizza. Die Taschen mit dem berühmten Lerche-Logo fielen auf. Im Dezember waren sie mit einem Weihnachtsmann geschmückt. Bereits in der Straßenbahn musste man in diese Zaubertüte greifen – denn ein neu erstandenes Album fühlte sich gut an. Auf haptische Genüsse muss heute beim Online-Streamen und Downloaden völlig verzichtet werden. Die Kunst der Covergestaltung ist ebenfalls untergegangen. 1959 ist die erste Lerche eröffnet worden. Das Internet stürzte die Musikindustrie von einer Revolution in die nächste, was am Ende auch die Lerche verstummen ließ. 2004 musste das ehemals größte Radio- und Fotohaus Süddeutschlands für immer schließen. Der Preiskampf gegen die Branchenriesen und Media-Märkte war endgültig verloren.

Die Musikhäuser sind Vergangenheit, ihre etwa bei Facebook  geposteten Plastiktüten erinnern noch heute an ihre große Zeit. Bald ist aber auch die Plastiktüte selbst Vergangenheit, wie die vielen Läden, die in Stuttgart verschwunden sind – ein Fall also für unser Geschichtsprojekt.

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