Es gab Zeiten, da waren Kaufhäuser der Motor einer brummenden City. Heute kämpfen sie ums Überleben. Stuttgart hat viele Ketten kommen und gehen gesehen. Wir erinnern an Kauferlebnisse bei Hertie, Horten, Merkur und Co.
Stuttgart - Einst war das Kaufhaus ein Symbol des Wirtschaftswunders. Unter einem Dach fand man nahezu alles. Die schöne bunte Warenwelt war so verlockend! Das Traditionskaufhaus muss seit einigen Jahren jedoch immer stärker ums Überleben kämpfen. Der Kahlschlag bei Kaufhof-Karstadt hat viele erschreckt. Die in Schieflage geratene Kette gibt unter anderen den Standort in Bad Cannstatt auf. Wir blicken auf Warenhäuser zurück, die große Zeiten hatten und irgendwann Vergangenheit waren – an klangvolle Namen, die in Stuttgart unvergessen sind.
Beginnen wir mit dem KFA an, dem „Kaufhaus für alle“ an der unteren Königstraße. Nach dem Abriss der Marstall-Provisorien Ende der 1950er Jahre war das KFA die erste Neubebauung am einstigen Pferdehof des Königs. Eberhard Kenner erinnert sich im Facebook-Forum des Geschichtsprojekts Stuttgart-Album: „Unweit des Hauptbahnhofs in den 1960ern eine geschickte Anlaufstation für einen berufstätigen, auswärtswohnenden Bahnpendler wie mich, der nach Feierabend vor der Heimfahrt etwas konsumieren musste, wenn er in der Stadt noch etwas zu tun hatte.“
Hertie bekam seinen Namen nach Gründer Hermann Tietz
Das Gebäude steht heute noch, nur mit einer anderen Fassade. Hertie und Karstadt Sport waren drin. Möglicherweise wird es abgerissen. Der städtebauliche Wettbewerb für eine Neubebauung des gesamten Marstall-Areals läuft.
In weißen Lettern stand „Union“ auf dem Dach des Gebäudes, aber auch unten am Eingang waren diese fünf Buchstaben zweimal zu lesen. Nein, es handelte sich dabei nicht um die Parteizentrale von Adenauers Union, es war ein Kauftempel der Wirtschaftswunderzeit auf der Königstraße in Stuttgart. Bis zum Jahr 1963 behielt das Warenhaus den Namen Union, ehe es nach dem Namen des jüdischen Gründers Hermann Tietz zu Hertie (nach seinem Namen) geworden ist.
Aus Union wurde Hertie, aus Hertie Karstadt, aus Karstadt Primark – die Königstraße aber ist die ewige Konstante.
Jüdische Kaufmänner flohen vor den Nationalsozialisten
Dirk Wein schreibt auf dem Internetportal des Stuttgart-Albums: „Das Gebäude wurde 1929 von der Familie Tietz bei dem Bauhaus-Architekten Richard Döcker (unter anderem Bauleiter der Weissenhof-Siedlung) in Auftrag gegeben, es wurde aber dann erst nach dem Krieg 1950 bis 1953 realisiert (unter Bauleitung von Döcker). Übrigens gab es zwei getrennte Unternehmen mit dem Namen Kauf/Warenhaus Tietz. Der Neffe von Hermann Tietz, Leonhard Tietz, gründete die zweite Kette, die hauptsächlich im heutigen Nordrhein-Westfalen aktiv war. Diese wurde ebenfalls im Nationalsozialismus enteignet, daraus wurde 1933 Kaufhof.
Die ersten großen Kaufhäuser Deutschlands sind um die Wende zum 20. Jahrhundert entstanden. Die Namen ihrer Gründer - wie Georg Wertheim, Hermann und Leonhard Tietz - kennt heute kaum noch jemand. Denn die Nationalsozialisten trieben die jüdischen Kaufmänner in die Flucht und nahmen ihnen ihren Besitz.
Das Schocken ist vor 60 Jahren abgerissen worden
Der Abriss des Kaufhauses Schocken an der Eberhardstraße im Mai 1960 - also vor 60 Jahren - gilt bis heute als Sünde der Stadtbaugeschichte und hat sich tief eingegraben ins Gedächtnis der Bürger. Nicht nur die Bomben des Zweiten Weltkrieges sind schuld daran, dass wichtige Teile der Architektur von Stuttgart fehlen. Auch nach Kriegsende ging die Zerstörung weiter.
„Das Auge kauft mit“, sagte sich Salman Schocken und ließ seine Kaufhäuser von dem jüdischen Architekten Erich Mendelsohn zu architektonischen Meisterwerken ausbauen. Mit einem Mix aus Beton und Glas, aus Hell und Dunkel, aus zueinander in Spannung stehenden Bauteilen sollte der Konsum zum Erlebnis werden.
15 Jahren nach Kriegsende musste das Kaufhaus verschwinden, um die Straße davor autogerecht zu verbreitern. Studenten hatten dagegen protestiert, auch renommierte Architekten aus aller Welt – vergeblich. Die Behörden waren nicht bereit, das Warenhaus mit der markanten Fassade unter Denkmalschutz zu stellen. Ein weiterer, möglicherweise der entscheidende Grund war der jahrelange Streit mit Kaufhauschef Helmut Horten, der auf den Abriss bestand. Das Schocken, glaubte er, sei für den Umbau in ein zeitgemäßes Warenhaus nicht geeignet.
Die Kaufhäuser hatten ein angestaubtes Image
„Hertie hat’s“ und „Gut ist uns nicht gut genug“ - so lauten Werbesprüche des 1993 aufgelösten Kaufhauses Hertie. Seit den 1980ern jagten Modemarken wie H&M, neue Labels und Drogerieketten den traditionellen Warenhäuser wie Karstadt, Horten (legendär: die Hortenkacheln), Hertie die Kunden ab. Nicht mehr das Vollstortiment war gefragt, sondern Labels, die differenzierten Bedürfnissen besser gerecht werden konnten. Hinzu kam die Konkurrenz im Internet.
Die Kaufhäuser hatten ein angestaubtes Image. Von der Tradition und Historie kann keiner ewig leben, der Handel muss sich immer weiter entwickeln. Und wieder einmal entscheiden wir, die Verbraucher, welche Handelshäuser überleben. Wer darüber klagt, dass Innenstädte veröden, darf, um glaubwürdig zu bleiben, nicht immer nur online shoppen.
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