Bis zum 16. November 1978 fuhr die Straßenbahn oberirdisch über den Schlossplatz. Foto: SSB-Pressestelle

Vor 42 Jahren hat ein neues Kapitel in der Stadtgeschichte begonnen: Am 16. November 1978 fuhr die letzte Straßenbahn über den Schlossplatz. Danach ging’s unterirdisch weiter. Leserinnen und Leser des Stuttgart-Albums erinnern sich.

Stuttgart - Seit 1863 rumpelt die Tube im Untergrund von London, die Pariser bekamen 1900 ihre Metro, und die U-Bahn in Berlin ging 1902 an den Start. Stuttgart musste etwas länger warten, bis das Leben unter der Erde weiterging. 1961 beschließt der Gemeinderat, die zentralen Strecken des öffentlichen Nahverkehrs tieferzulegen – insgesamt sind es 17 Kilometer. „Oben bleiben“ ruft keiner. Aber es traut sich auch niemand, die ersten Versuche des unterirdischen Vorwärtskommens als „U-Bahn“ zu bezeichnen. Man nennt die neuen Linien „U-Straßenbahn“ – denn die Bahnen schauen immer wieder raus aus der Erde, als müssten sie Luft schnappen, und dann geht’s wieder runter.

„Stuttgart – die Stadt zwischen Löchern und Gräbern“

Am 2. Juli 1962 beginnt die Stadt damit, ihre City zu unterkellern. An diesem Tag sticht am Charlottenplatz der erste Spaten fürs Tunnelnetz ins Erdreich. Es wird eine Operation am offenen Herzen – trotz Großbaustelle soll es auf den umliegenden Straßen nicht zum Verkehrsinfarkt kommen. 1966 wird die Jungfernfahrt zwischen Holzstraße und Staatstheater gefeiert. Es sollte der Anfang fürs große Wühlen im Untergrund sein. Am 5. Juli 1971 gibt der damalige Bundesverkehrsminister Georg Leber mit dem Presslufthorn das Startsignal für den Bau der S-Bahn. Stuttgart wird zu Maulwurfshausen und bekommt den wenig schmeichelhaften Beinamen „Stadt zwischen Löchern und Gräbern“.

Auch auf dem Schlossplatz verschwinden die großen Gelben. Hierbei handelt es sich um die legendäre Strampe vom Typ GT 4. Unvergessen sind die roten Klappsitze sowie der gelbe Knopf an den Ausgängen, über den Weiß auf Grau stand: „Aussteigen bitte Knopf drücken.“

Wehmütige Erinnerungen

Die Idylle der alten Fotos, auf denen die Straßenbahn noch beim Königsbau zu sehen ist, sorgt auf der Facebook-Seite des Stuttgart-Albums für wehmütige Kommentare. „Da hat man auf den Fahrten mehr gesehen als nur Tunnelwände“, schreibt Marion Schmidt. Doch wie wäre das wohl, müssten sich heute Fußgänger, Autos und Straßenbahn die Königstraße teilen? Es wäre ein Kampf – ein Überlebenskampf. Heute werden in der Fußgängerzone bis zu 10 000 Passanten in der Stunde gezählt. Man könnte sie nicht alle an den Rand der Straße verbannen.

Rampe auf Höhe des heutigen Pusteblumenbrunnens

Die untere Königstraße war 1976, also zwei Jahre bevor die unterirdische Haltestelle Schlossplatz am 20. November 1978 eröffnet worden ist, bereits straßenbahnfrei mit der Eröffnung der Arnulf-Klett-Passage. „Es gab eine Rampe auf Höhe des heutigen Pusteblumenbrunnens“, erinnert sich Harald Frank. 1979 ist auch die obere Königstraße zur Fußgängerzone geworden.

Beim Betrachten der alten Fotos des Stuttgart-Albums freut sich Marcel Zügel über „die tolle Eszet-Werbung auf dem Marquardtbau“. Rückblickend wundert er sich, „dass bei so vielen Straßenbahnen und Autos nix passiert ist“. Aber damals sei man wohl „umsichtiger“ gewesen, schreibt er in unserem Facebook-Forum. . Und Joe Roidl kommentiert. „In meiner Lehrzeit beim Radio Barth hab’ ich das miterlebt, oben die wahnsinnig tiefen Baugruben und irgendwann unterirdisch. Es war abends immer ein Wettrennen, wenn man die kurz nach halb 7 nicht bekommen hat, dann fuhr der nächste Zug nach Göppingen erst eine Stunde später.“

Diskutieren Sie mit!

Straßenbahn-Geschichten – jeder kann welche erzählen. Nachts um halb eins trafen sich einst alle Linien auf dem Schlossplatz und warteten aufeinander, so dass man in die Bahn umsteigen konnte, die einen heimbrachte. Es gab Schaffner, die von Platz zu Platz gingen und Fahrscheine verkauften, die je nach Entfernung unterschiedlich kosteten. Sie hatten verschiedenfarbige Ränder. Auf den Fahrscheinen war ein stilisierter Netzplan aufgedruckt, und die Schaffner markierten mit blauer Fettkreide die Einstiegshaltestelle und strichen auf einem Uhrenkreis die Zeit ab.

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