Unfall einer führererlosen Strambe im März 1969 Foto: Stuttgart-Album/Nachlass Burkhardt

Im März 1969 war’s, als sich bei der Oberen Ziegelei eine Straßenbahn selbstständig machte und erst nach einem Kilometer zum Halten kam. Kurioses und Ungeahntes haben Leser des Stuttgart-Albums zu alten Unfallfotos herausgefunden.

Stuttgart - Im März 1969 war’s, als sich bei der Oberen Ziegelei eine Straßenbahn selbstständig machte und erst nach einem Kilometer zum Halten kam. Kurioses und Ungeahntes haben Leser des Stuttgart-Albums zu alten Unfallfotos herausgefunden.

„Schicki-Express“, so nannte man eine Strambe der Linie 21, die vor über vier Jahrzehnten Schlagzeilen in Stuttgart gemacht hat. Den Spitznamen bekam die gelbe Bahn vom legendären Typ GT 4 nicht, weil sie besonders schick war, sondern weil sie nach einer Schussfahrt als Geisterzug ans Schaufenster der Tanzschule Schicki knallte. Auf einem starken Gefälle war die Strambe ganz von allein ohne Fahrer losgerollt.

Das Foto, das etliche Schaulustige zeigt, die sich im März 1969 den Strambe-Unfall in Bad Cannstatt aus nächster Nähe anschauen, stammt aus dem Nachlass des im vergangenen Jahr verstorbenen SWR-Redakteurs Edgar Burkhardt. Standbilder einer bewegten Zeit, Teil zwei: In unserer Stadtgeschichtsserie Stuttgart-Album haben wir bereits einige Schwarz-Weiß-Aufnahmen gezeigt, die Burkhardt gesichert hat, als die „Landesschau“ sie nicht mehr für die neue digitale Zeit gebraucht hat.

Es waren sogenannte Standbilder, die zu einer Nachricht im Fernsehen eingeblendet worden sind. Wir sahen toupierte Krankenschwestern mit Babys der Neugeborenenstation oder einen Schwimmer, der vom Sprungbrett aus voller Urlaubssehnsucht im Himmel ein Flugzeug entdeckt. In der großartigen Fotosammlung, die Burkhardts Witwe unserem Geschichtsprojekt anvertraut hat, sind aber nicht nur die schönen Seiten des Lebens archiviert.

Die SDR-Fernsehredaktion schickte ihre Standbild-Fotografen Burghard Hüdig und Kurt Eppler häufig zu Unfällen – oder die beiden hatten, auf welche Weise auch immer, selbst von einem Polizeieinsatz erfahren. Heutzutage sind in Stuttgart und Umgebung mehrere Blaulicht-Fotografen unterwegs, die oft auch noch Filme für die Fernsehsender machen. Damals – es handelt sich um die 1960er und 1970er Jahre – musste der „Landesschau“ meist ein Standbild reichen. Der Polizeiführer vom Dienst rief persönlich die Medien an, wenn etwas Schlimmes passierte. Heutzutage kommen solche Meldungen per SMS. Und außerdem zücken fast alle Schaulustigen ihre Handykameras, um das Geschehen festzuhalten und dann in den sozialen Netzwerken zu verbreiten

Warum sich im März 1969 in Bad Cannstatt die Strambe der Linie 21 selbstständig machte, haben die Facebook-Besucher des Stuttgart-Albums herausgefunden. Zu dem geposteten Standbild zitiert Reiner Dettling genüsslich aus einem SSB-Buch über den GT 4: „An der Schleife Obere Ziegelei hatte es den Fahrer zu einer eiligen Verrichtung außerhalb des Fahrzeugs gedrängt. Das Fahrerbremsventil blieb bei dieser Gelegenheit wohl leicht geöffnet, so dass die allmählich einströmende Druckluft die Bremse löste. Als der Fahrer zunächst erleichtert zurückkam, sah er seinen fahrbaren Arbeitsplatz eben lustig in die lange Gerade der Schmidener Straße einbiegen – ohne alle Insassen!“

„Ein Doornkaat würde mir jetzt guttun“

Der geschockte Fahrer, heißt es weiter, sei chancenlos hinterhergerannt und habe das nächste Privatauto gekapert, um den immer schneller werdenden Geisterzug einzuholen. Dann aber entschied sich der Wagen 444 nach einer Schussfahrt von über einem Kilometer – an der scharfen Biegung zur Teinacher Straße –, das ihm „vom Vorbeifahren wohlbekannte Schaufenster der Tanzschule Schicki einmal näher zu betrachten“. Dort kam Wagen 444, nachdem er mehrere Fahrzeuge weggeräumt hatte, zum Stehen.

Ein Teil der Fotoschätze aus Burkhardts Nachlass soll an das neu gegründete Polizeimuseum gehen, wo die detektivische Arbeit beginnen kann. Denn die Fotos sind nicht beschriftet, auf der Rückseite steht immer nur der Name des Fotografen, nicht aber der Ort des Motivs und auch nicht das Datum.

Zu einem weiteren Straßenbahnunfall, der sich wohl Ende der 1960er ebenfalls in Bad Cannstatt ereignet hat, fällt Thomas Trey sofort die Werbung „Ein Doornkaat würde mir jetzt guttun“ ein. Der Kommentator Gerhard Pfeiffer merkt an: „Auf der rechten Bildmitte steht ein Kranwagen (KW) 16 von der Berufsfeuerwehr und auf der Brücke hinten links ein Kranwagen, ursprünglich aus US-Militärbeständen, der sogenannte Korea-Schlepper der Berufsfeuerwehr. Der Korea-Schlepper war der erste KW nach dem Krieg, dann wurde der KW 16 von Magirus beschafft, der mit einem Rüstwagen als Unfallzug auf der Feuerwache 1 und 3 stationiert war.“

Auf den alten Unfallfotos sieht man häufig Holzsärge vor den verunglückten Autos. Heutzutage werden die Opfer in Leichensäcken abtransportiert. Generell aber hat die technische Entwicklung die Zahl der Todesopfer glücklicherweise gesenkt. Überhöhte Geschwindigkeit mag einst wie heute eine häufige Ursache für die Unfälle sein. Heute sind die Fahrzeuge aber stabiler. Und die Insassen sind durch Airbags und andere Sicherheitsvorrichtungen besser geschützt.

Zu unserer Geschichtsserie sind zwei Bildbände im Silberburg-Verlag erschienen. Diskutieren Sie im Internet mit unter www.facebook.com/Album.Stuttgart.