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Zehntausende S-21-Gegner haben am Freitagabend demonstriert - Bannmeile missachtet.

Stuttgart - Zwischen 30.000 und 40.000 Menschen haben am Freitagabend ihrem Ärger über das Bahnprojekt Stuttgart 21 Luft gemacht. Sie bildeten eine Menschenkette um den Landtag. Tausende drangen in die Bannmeile ein, doch die Demonstration blieb friedlich.

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Eine größere Protestaktion als die am Freitagabend hat die Landeshauptstadt selten gesehen. Trotz strömenden Regens versammelt sich eine große Menschenmenge um 19 Uhr vor dem Hauptbahnhof. Mit dem Schwabenstreich eröffnet Schauspieler Walter Sittler unter ohrenbetäubendem Lärm die Kundgebung. "Der heutige Abend zeigt, dass Stuttgart 21 umkehrbar ist", ruft SÖS-Stadtrat Hannes Rockenbauch ins Mikrofon, "wir werden das Projekt durch friedlichen, zivilen Ungehorsam verzögern." Doch der Ton verschärft sich inzwischen. "Wenn ihr da oben nicht zum Dialog bereit seid, lasst ihr uns keine andere Wahl, als dieses Projekt selbst zu stoppen", droht Rockenbauch unter Jubel.

Danach setzte sich der Protestzug zum Landtag in Bewegung. Ein Regenbogen beleuchtet den Himmel, während einige Aktivisten am Gerüst des benachbarten Hochhauses ein Transparent entrollen. "Kein Stuttgart 21! 2011 ist Landtagswahl. Schönen Gruß an Frau Merkel", steht darauf. Über die Bolzstraße verteilen sich die Menschen rund um das Parlament. Sie wollen damit zeigen, dass das Projekt das ganze Land angeht. So mancher Demonstrant ist von außerhalb der Region angereist.

Der Kreis um den Landtag zieht sich immer enger. Um kurz nach halb neun stürmen die ersten Demonstranten auf die Wiese in Richtung Eingang. Die Polizei, die sich bis dahin sehr zurückgehalten hat, hat alle Hände voll zu tun, das Gebäude zu schützen. Berittene Polizisten drängen die Protestierenden von der Fassade weg. "Bannmeile? Was soll das?", ruft einer, "uns fragt doch auch keiner." Die Organisatoren versuchen derweil verzweifelt über Megafone, die aufgebrachte Menge vom Landtag wegzubekommen. Vergeblich.

Polizei steht zwischen Demonstranten und Landtag

Nach einigen Minuten beruhigt sich die Lage langsam wieder. Noch lange stehen hunderte vor dem Gebäude, skandieren "Lügenpack" und "Mappus raus". Polizisten bilden die zweite Menschenkette an diesem Abend und stellen sich schützend zwischen Protestierer und Landtag. Manche Demonstranten ziehen kopfschüttelnd ab. Doch nach und nach wandelt sich die Atmosphäre wieder hin zum fröhlichen Volksfest. Musiker trommeln, die Organisatoren bitten die Teilnehmer, das Gelände zu verlassen. Nach und nach löst sich der Protestzug auf, die Menschen verteilen sich. Manche ziehen zurück zum Bahnhof.

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"Wir sind einfach zu erfolgreich", sagt Gangolf Stocker vom Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 nach Auflösung der offiziellen Demonstration, "aber heute ist auch Selbstkritik notwendig." Man habe 120 Ordner im Einsatz gehabt, sie aber vielleicht zu kurzfristig instruiert. Man wolle sie künftig besser schulen. Allerdings habe "auch die Polizei geschlafen". Die Sicherheitskräfte hätten die Demonstranten nicht am Eindringen in die Bannmeile gehindert.

Ein Polizeisprecher weist die Vorwürfe zurück. Man könne nicht tausende Menschen aus der Bannmeile drängen, wenn die Veranstalter die Ordner nicht richtig einsetzten. Darüber hinaus jedoch zieht er eine positive Bilanz des Abends. Zu Festnahmen oder weiteren Zwischenfällen sei es nicht gekommen. Am Bahnhof jedoch werden am Abend die Sicherheitsbestimmungen verschärft. Nur noch Passagiere mit Fahrschein werden zu den Gleisen vorgelassen.

Warnung vor weiterer Radikalisierung

Inzwischen werden die Stimmen immer lauter, die vor einer weiteren Radikalisierung des Protests warnen. Nicht nur OB Wolfgang Schuster mahnt in seinem offenen Brief zur Mäßigung. Der Städtetag Baden-Württemberg teilt mit: "Die Demonstrationen gegen das Projekt Stuttgart 21 geben Anlass zur Sorge um den Rechtsfrieden, weil sie zunehmend mit nicht mehr legalen Mitteln geführt werden." Man appelliere deshalb dringend an die Demonstranten, ihren Protest ausschließlich mit friedlichen Mitteln zu äußern.

Als Folge der Straßenblockaden ist es am vergangenen Mittwoch zu Problemen bei der Versorgung von Krankenhäusern mit Blutkonserven für dringend notwendige Operationen gekommen. Krankenhausbürgermeister Klaus-Peter Murawski (Grüne) appelliert deshalb an die Demonstranten, dafür Sorge zu tragen, dass Fahrzeuge - das können auch Taxis sein - mit dem Schild Achtung! Eiliger Bluttransport' reibungslos passieren zu lassen.

Die Demonstranten wollen sich nach den ereignisreichen Tagen nicht ausruhen. Bereits am Montag geht es mit der nächsten Protestkundgebung weiter. Von 18 Uhr an sprechen vor dem Nordausgang des Hauptbahnhofs der frühere SPD-Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat Siegfried Bassler, die Kabarettisten Uwe Spinder und Christine Prayon sowie Walter Sittler.