In unserer Reihe „Forum Stuttgart 21“ im Dezember 2010 von Ex-Staatsgaleriedirektor Christian von Holst vorgeschlagen: Info-Box in der Verlängerung der Königstraße Foto: von Holst

Info-Box: Stuttgart 21 fehlt noch immer ein Publikumsforum am Ort des Geschehens.

Stuttgart - „Städte sind schön, weil sie langsam erschaffen werden; sie werden von der Zeit gemacht“, sagte Renzo Piano in allen Gesprächsrunden über den von ihm entwickelten Masterplan für die Bebauung des Daimler-Areals am Potsdamer Platz in Berlin. Damit skizziert er selbst den Widerspruch zwischen der Notwendigkeit natürlicher Entwicklungsphasen und seinem Auftrag, in kürzester Zeit – zwischen dem ersten Spatenstich 1993 und der offiziellen Übergabe im Oktober 1998 – eine neue Stadt zu bauen, als unauflösbar. „Es dauert 500 Jahre, eine Stadt zu errichten“, sagte Piano etwa bei der Eröffnung des Areals, „und 50, ein Viertel zu erbauen. Wir sind gebeten worden, ein beträchtliches Stück Berlin innerhalb von fünf Jahren wiederaufzubauen.“

Dass dies allein zeitlich gelungen ist, weist das Projekt – auf den Masterplan von Piano und Kohlbecker antworteten der Japaner Arata Isozaki, in Stuttgart durch seine in der Schublade verschwundenen Entwürfe für ein Museum der Gegenwartskunst bekannt, die Münchner Hans Kohlhoff, Ulrike Lauber und Wolfram Wöhr, der Spanier José Rafael Moneo und der Engländer Richard Rogers (der mit Piano schon beim Centre Pompidou in Paris zusammengearbeitet hatte) – als organisatorische Meisterleistung aus. Endlos schienen ja zuvor die Diskussionen wie auch die Erarbeitung minuziöser Pläne für den Abtransport des gigantischen Erdaushubs, und nicht nur spektakulär, sondern auch risikoreich für die Beteiligten selbst waren ja die Arbeiten der Taucher in künstlich gefluteten „Seen“. Die Dramen der zur „Schaustelle“ gewordenen Baustelle spielten sich vor aller Augen ab. Das Frankfurter Büro Schneider + Schumacher hatte einen mit rot emaillierten Platten verkleideten Quader entworfen, der, von diagonalen Stützen gehalten, acht Meter über dem Boden aufgesetzt wurde.

Humboldtforum heißt das strittige Ziel

Anfang Juni 1995 war Baubeginn für die Infobox, drei Monate dauerte der Aufbau, weitere sechs Wochen der Innenausbau. Über zwei Außentreppen erreichten die Besucher drei Geschosse mit Ausstellungs- und Vortragsräumen sowie einem Café. Die Dachkante auf 23 Meter Höhe diente zugleich als Grund der Terrasse mit freiem Blick auf die Daimler-Baustelle. Jetzt streitet man in der Hauptstadt wieder über ein großes Quartier Stadt in der Stadt – und erneut lässt sich die Realisierung aus luftiger Höhe beobachten und diskutieren. Humboldtforum heißt das strittige Ziel – und die Humboldtbox ist, wie einst die Info-Box am Potsdamer Platz, schon jetzt eine Attraktion.

Wie nähert man sich dagegen dem Verkehrs- und Städtebauprojekt Stuttgart 21, das als Teil des Bahnprojekts Stuttgart–Ulm den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs und die direkte Verknüpfung von Schiene, Straße und Flugverkehr am Stuttgarter Flughafen vorsieht? Noch immer und immer wieder reichlich abstrakt. Dabei zeigt das Gedränge auf der Außenplattform des Bahnhofsturms gerade in diesen Tagen ein großes Bedürfnis, schlicht sehen zu können, wo etwas passiert und was dort geschieht.

Christian von Holst, ehemaliger Direktor der Staatsgalerie Stuttgart, formulierte sein Unverständnis über ein Publikumsforum am unmittelbaren Ort des künftigen Baugeschehens bereits im Dezember 2010. Im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe „Forum Stuttgart 21“ skizzierte von Holst im Forum der Landesbank Baden-Württemberg das Anknüpfen des Düsseldorfer Architekten Christoph Ingenhoven an Stuttgarter „Gartenstadt“-Ideen von 1880. Ingenhoven ist mit dem Umbau des Stuttgarter Kopfbahnhofs in einen Durchgangsbahnhof als zentralem Bau des Projekts Stuttgart 21 beauftragt.

Schon einmal hat man in Stuttgart auf einen möglichen Überblick verzichtet

Kann man sich aber Ingenhovens Konzept, den zentralen Baukörper mit dem erst im Lauf seiner Entstehung nach Süden hin, bis in die Achse zur Königstraße verrückten Turm als Erschließungsraum weiterzuentwickeln, ohne Sichtbezug vorstellen? Nein, meinte von Holst und stellte deshalb, „nur grob angedeutet“, die Idee eines erhöhten Informationspavillons vor, der über eine transparente Brücke unmittelbar an die Ausstellungsräume im Bahnhofsturm (Turmforum) angeschlossen sein sollte.

Schon einmal aber hat man in Stuttgart auf einen möglichen Überblick verzichtet. Eine „Art Box“ sollte die Neugestaltung des Areals zwischen Schlossplatz und Friedrichsplatz/Theodor-Heuss-Straße mit dem zentralen Neubau des Kunstmuseums erlebbar machen, in Containerbauweise sollte ein Kubus mit drei Etagen errichtet werden. Es blieb bei der Planung. Das muss nun, da es um eine weit größere Bauaufgabe geht, nicht schrecken. Weit eher irritierend: die Selbstverständlichkeit, mit der die Projektträger für Stuttgart 21 – Bund, Bahn, Land, Stadt und Region – noch nicht einmal über einen klar identifizierbaren Mangel diskutieren.