Unter dem Boßler, zwischen Aichelberg und Gruibingen, wird der Tunnel für die künftige Bahntrasse gebohrt Foto: Horst Rudel

Erstmals arbeitet im Boßlertunnel eine Bohrmaschine in einem zuvor nach herkömmlicher Bauweise hergestellten Abschnitt. Das so noch nirgendwo praktizierte Verfahren spart Zeit und Geld – und ermöglicht seltene Einblicke.

Gruibingen - Matthias Breidenstein ist Projektleiter für einen Teil der S-21-Neubaustrecke Stuttgart–Ulm auf der Schwäbischen Alb und als solcher ein Mensch, der zur nüchternen Betrachtung der Wirklichkeit neigt. Doch der Moment, der sich vor einigen Tagen in 250 Meter Tiefe unter dem Boßler zwischen Aichelberg und Gruibingen im Kreis Göppingen ereignete, lässt ihn noch heute schwärmen. „Zuerst ein leises Grummeln, das immer lauter wurde, dann sah man, wie sich Käthchen durch die Wand bohrte – eine staubige Angelegenheit“, berichtet er. Danach habe man mit einem Gläschen Sekt angestoßen – und dann weitergearbeitet.

Käthchen – so heißt die riesige Tunnelbohrmaschine der Firma Herrenknecht, die vom Portal Aichelberg aus den Boßlertunnel gräbt. Warum sie diesen Namen trägt, will Breidenstein erst verraten, wenn die Arbeiten fertig sind. Ganz offen bekennt er aber, wie er einschätzt, was da vor wenigen Tagen passierte und am Montag einigen Medienvertretern präsentiert wurde. Wahlweise spricht er von einem „Riesenerfolg“, einem „Musterbeispiel an Präzision“, einer „Einmaligkeit für die Bahn und Deutschland“ und „unserem Klein-Gotthard“. Für ihn, der seit 25 Jahren nichts anderes mache als Tunnelbau, sei das eine „echte Besonderheit“.

Worum geht es? Der Boßlertunnel ist ein Teil des Albaufstiegs der Neubaustrecke, die die Bahn für mehr als drei Milliarden Euro in Fortsetzung von Stuttgart 21 von Wendlingen nach Ulm baut. Die beiden rund 8,8 Kilometer langen Röhren – je eine für jede Fahrtrichtung – werden vom neben der A 8 liegenden Portal Aichelberg aus nach oben getrieben. Sie münden in die Filstalbrücke bei Mühlhausen, ehe die Trasse dann im Steinbühltunnel auf die Hochfläche der Alb bei Hohenstadt geleitet wird.

Sprengen oder nicht sprengen?

Von Aichelberg aus fraß sich seit dem vergangenen April die 110 Meter lange und rund 2500 Tonnen schwere Tunnelvortriebsmaschine in den Berg. Vorne gräbt sich das Schneidrad mit einem Durchmesser von 11,40 Metern und 64 Drehmeißeln durch das Gestein, hinten formen und sichern Tübbinge genannte Betonteile die Röhre. Ursprünglich war geplant, dass die Tunnelbohrmaschine nur auf rund 2,8 Kilometern das Gestein herausbricht, der Rest des Tunnels sollte herkömmlich gebaut werden: Zuerst wird gesprengt, dann mit Spritzbeton ausgekleidet.

Auf diese Weise haben Mineure von einem 950 Meter langen Zugangsstollen im Umpfental bei Gruibingen aus einen 744 Meter langen Abschnitt hergestellt. Bei diesen Arbeiten wurde das Gestein auf sein Trageverhalten hin genauer untersucht – dafür wurde sogar ein 40 Meter langer Versuchsstollen gebuddelt, der 55 Meter unter dem Boßlertunnel verlief. Das Ergebnis der geologischen Nahschau: Die Tunnelbohrmaschine kann fast den gesamten Boßlertunnel graben.

Deshalb wurde der riesige Bohrer nicht zum Portal zurückgezogen, sondern grub sich weiter durchs Gebirge. In der vergangenen Woche kam es bei Kilometer 4,5 zum Durchbruch: Käthchen bohrte sich durch die Betonwand, die ein Ende des herkömmlich gebrochenen Bereichs markiert. Dabei war die Bohrmaschine, die man normalerweise nur von hinten bei der Arbeit sieht, erstmals von vorne in voller Funktion zu sehen. „Für uns alle war das ein besonderer Moment, als sich das Schneidrad durch die 30 Zentimeter dicke Spritzbetonwand fräste“, sagt Breidenstein.

Die Bahn spart Millionenbetrag

Wer allerdings glaubt, die Weiterfahrt durch den herkömmlich hergestellten Tunnel sei ein Kinderspiel, der irrt. Damit die Vortriebsmaschine wie im Fels auf Gegendruck stößt, den sie braucht, um die hinter ihr eingearbeiteten Tübbinge dicht und stabil zusammenzudrücken, wurde die Röhre zu 40 Prozent mit Magerbeton ausgefüllt. Zudem wurden Führungsschienen einbetoniert, damit die Maschine auf Kurs bleibt. „Dieses Verfahren ist auf dieser Länge weltweit noch nie angewendet worden“, sagt Breidenstein. Trotz dieses Aufwands spart die Bahn einen hohen einstelligen Millionenbetrag – und Zeit, weil der komplizierte Abbau der Bohrmaschine entfällt.

Er hofft, dass in einem Monat der herkömmlich hergestellte Tunnel durchfahren ist und die Bohrmaschine Ende des Jahres das Filstal erreicht, wo im Sommer mit dem Bau der Brücke begonnen wird. Käthchen wird danach zerlegt und zum Portal Aichelberg transportiert – und nimmt dann die zweite Röhre in Angriff.