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Stuttgart 21: Die Bahn lehnt es ab, Eigentümer von möglicher Schadenshaftung zu befreien.

Stuttgart - Vom Bahnprojekt Stuttgart 21 und der Neubaustrecke nach Ulm sind rund 6000 Grundstückseigentümer betroffen. Die Bahn braucht deren Land oder die Einwilligung zum Tunnelbau. Betroffene und Gegner des Projekts warnen vor Verträgen, in denen die Haftung für Schäden auf den Eigentümer abgewälzt wird.

Ende 2012 will die Bahn in Stuttgart in den Untergrund gehen. Direkt unter dem Wagenburgtunnel sollen dann große Kavernen entstehen, in denen Tunnelbohrmaschinen zusammengesetzt werden. Auch aus Richtung Möhringen und Flughafen sowie von Feuerbach und Untertürkheim aus wird gebohrt - insgesamt geht es um 44 Kilometer Tunnel. Wer darüber Eigentum besitzt, muss mit einem Eintrag ins Grundbuch rechnen. Die DB Netz AG sichert sich damit auf Dauer eine "beschränkte persönliche Dienstbarkeit".

Was technisch klingt, könnte heftige Auswirkungen haben, befürchtet zum Beispiel der Patentanwalt und Ingenieur Uwe Dreiss. Sein Haus in der Gerockstraße 6 wird von einer der beiden Fildertunnel-Röhren komplett unterfahren. "Unser Haus ist von 1895", sagt Dreiss. Bodenbewegungen werde der Altbau kaum verkraften können.

Dreiss hat seine Einwände gegen Planänderungen beim Fildertunnel vorgebracht. Die je 30 oder auch 45 Meter langen, 20 Meter breiten und 18 Meter hohen Kavernen liegen auch unter seinem Haus. Sie könnten miteinander zu einer riesigen Halle verbunden werden. Genaue Maße, bemängelt der Ingenieur, gebe es nicht. Auch Ulrich Ebert ist vom Tunnelbau betroffen. Er befürchtet, dass betroffene Eigentümer im Schadensfall auch für mögliche Malaisen am Nachbargrundstück haften könnten. "Die Rechtsprechung geht in diese Tendenz", sagt Ebert. "Ich war 25 Jahre lang Versicherungsjurist für Architekten- und Ingenieurschäden und weiß, was schiefgehen kann." Ebert will, dass die Bahn die Eigentümer "vorab von jeglicher Haftung freistellt".

Die Grundbucheinträge treffen nicht nur jene, die direkt über der unterirdischen Baustelle siedeln. Auch Nachbarn können betroffen sein, denn die Bahn beansprucht nicht nur Gelände direkt über den Röhren, sondern auch einen je 15 Meter breiten Streifen daneben. Auch auf diesem "Schutzstreifen" darf künftig nur mit Genehmigung der Bahn gebaut werden. Die Flächenpressung neuer Bauten muss nachgewiesen werden, Tiefbauarbeiten werden eingeschränkt.

Der in Musterverträgen der Landsiedlung jetzt aufgetauchte Schutzstreifen sei neu, sagt der Anwalt Armin Wirsing. In den Baugenehmigungen für die Bahn war er in den letzten Jahren kein Thema. Beim Gasleitungsbau ist er aber Usus, die Firmen sichern sich damit ihren Arbeitsraum ab.

Der Schutzstreifen gelte nur bis zu einer gewissen Tiefe, so ein Bahn-Sprecher am Montag auf Anfrage. Das gültige Maß kenne er allerdings nicht. Wo es eine Beweissicherung gebe, der Zustand von Häusern also vor dem Tunnelbau begutachtet sei, werde entschädigt. "Eine dauerhafte Haftungsfreistellung ist nicht üblich, das haben wir noch nirgends gemacht", so der Bahn-Sprecher.

Anwalt Wirsing fordert sie dennoch. Wegen des schwierigen Anhydrit-Untergrunds - das Gestein quillt bei Wasserkontakt - bestehe dauerhaft Gefahr. Als Beispiele nennt Wirsing den Wagenburg- und Engelbergtunnel und die wellige A81 bei Oberndorf. "Der Untergrund kommt dort nicht zur Ruhe. Man muss mit der Bahn in Stuttgart eine Haftungsfreistellung aushandeln", rät Wirsing. Damit würde die Beweislast nicht beim Eigentümer, sondern bei der Bahn liegen. Sie müsste im Schadensfall belegen, dass der Tunnel nicht die Ursache ist.

Die Grünen im Gemeinderat laden für diesen Dienstag um 19.30 Uhr zum Vortrag "Der Tunnel unter meinem Haus" ins Rathaus ein. Redner sind der Geologe Jakob Sierig und Anwalt Armin Wirsing.