Die Bauarbeiten für die beiden Tunnelröhren vom Hauptbahnhof nach Feuerbach laufen weiter. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Der von der Bahn beauftragte Ingenieur Walter Wittke verteidigt sein Verfahren, mit denen Tunnel des Projekts gegen drückendes Gestein gesichert werden. Warnungen aus dem Gutachten für den Bahn-Aufsichtsrat kommentiert er nicht.

Stuttgart. - Walter Wittke ist 82 Jahre alt und sehr fit. Am Donnerstag landete der Aachener Tunnelbau-Experte mit einem Flugzeuge aus dem Iran um fünf Uhr in Deutschland. Er setzte sich gleich in den Zug nach Stuttgart. Sein Auftraggeber, die Deutsche Bahn AG, hat den emeritierten Professor zum Pressegespräch gebeten. Bei der Projektgesellschaft für Stuttgart 21 ist Schadensbegrenzung angesagt, seitdem ein Gutachten der Prüfinstitute KPMG (Frankfurt) und Ernst Basler & Partner (Zürich) zu dem Schluss kommt, dass bei den Tunneln in Stuttgart ein erhebliches Risiko besteht. Wo sie durch Anhydrit führen, kann das Gestein bei Wasserzutritt grundsätzlich quellen. Das kann millionenteure Reparaturen nötig machen. Der neue Tiefbahnhof wäre dann teils abgehängt, der Bahnbetrieb „nicht mehr gewährleistet“, so die Gutachter aus der Schweiz.

Ist das für ihn eine Art Feuerwehreinsatz? „Ja, heute ist das so“, sagt Wittke schmunzelnd auf dem Weg vom Bahnhofsturm zum Bus, der die Journalisten zur Baustelle des Feuerbacher Tunnels bringt. Im Turm und in der Röhre erläutern der Experte und Abschnittsleiter Christoph Lienhart, wie die bekannten Risiken minimiert, wie Wasser von dem Gestein, das bei der Umwandlung zu Gips um bis zu 18 Prozent an Volumen zulegen und dadurch Häuser und Tunnel anheben kann, fern gehalten werden soll.

Auf Wassereinsatz beim Bohren wird verzichtet

Im Anhydrit werde trocken gebohrt, auf den üblichen Wassereinsatz zur Kühlung der Geräte verzichtet. Um den Anhydrit-Anteil im Gestein zu bestimmen, werden laut Wittke tausende Proben analysiert. Dann wird entschieden, ob die Tunnelwand 40 Zentimeter oder wegen höheren Drucks bis zu einen Meter dick wird.

Durch die Tunnelsprengung ergeben sich Klüfte und Haarrisse im Gestein. Wo im Anhydrit mit Wasserzutritt gerechnet werden müsse, werde vier bis fünf Meter tief um den Tunnel Polyurethan in die Spalte gepresst. Ein Versuch, wie viel injiziert werden muss, läuft. Bis zu 500 Liter pro Bohrung könnten es sein. Auf die sonst angewandte Sicherung des Tunnels durch Anker wird im Anhydrit verzichtet. „Die Anker würden uns Wasser zum Tunnel ziehen“, so der Experte, die Röhren seien auch ohne Anker standsicher. Ein neues U-Profil des Tunnels soll zudem verhindern, dass sich Wasser unter dem Tunnel sammeln kann. „Dieses neue Bauverfahren hat sich bestens bewährt“, sagt Lienhart. Für die zusätzlichen Sicherungen in allen Tunneln hat die Bahn Mehrkosten von 144 Millionen Euro eingeplant.

Noch etliche Kilometer zu bohren

Bisher hat die Bahn allerdings erst 21 Prozent (1150 Meter) der im Anhydrit liegenden Abschnitte des Feuerbacher Tunnels gebohrt, nach Bad Cannstatt sind es acht, nach Obertürkheim 17, beim Fildertunnel wurde der Anhydrit noch gar nicht erreicht. Die gefürchteten Hebungen habe man an der Tunnelsohle bisher mit maximal fünf Millimeter registriert. Bis zu zehn Zentimeter könnten später durch das Einstellen der Gleise ausgeglichen werden.

Die Kombination aller Maßnahmen sei beim Tunnelbau bisher noch nicht angewandt worden, sagt Wittke, der als führender Wissenschaftler im Bereich Felsmechanik gilt. Sind die Röhren fertig, werden die durch Anhydrit führenden Strecken elektronisch dauerhaft auf Hebungen überwacht. Auch das ist bisher einmalig. Ob es Parallelen zum Engelberg-Basistunnel gebe, wird Wittke gefragt. Die A-81-Röhre führt durch Anhydrit und ist seit dem Bau in Bewegung, verursacht extreme Kosten und viel Ärger für die Autofahrer. „Den Sanierungsbedarf des Engelberg-Basistunnels kann ich hier ausschließen“, wiederholt Wittke einen Satz, den der Projektsprecher Jörg Hamann vorformuliert. Und ein geringerer Sanierungsbedarf? „Wir werden sehen, ob noch gewisse Unsicherheiten in der Prognose sein werden, sagt Wittke. Und: „Unsere Berechnungen machen uns sehr sicher.“

Experte verweist auf Erfahrung in Stuttgart

Was sagt der Experte zum Gutachten? „Ich habe den Gutachtern unser Vorgehen erklärt.“ Das Papier, das die Projektpartner in Aufruhr versetzt, kenne er nicht. Er wolle sich nicht dazu äußern. Man könne „nicht in einen wissenschaftlichen Diskurs einsteigen“, sagt Hamann. Basler & Partner kritisieren, dass die Bahn sich auf einen Gutachter allein verlasse. „Sie müssen sich keine so großen Sorgen machen, wie die Kollegen das tun“, beruhigt Wittke. Sein Büro habe Jahre Forschungs- und Entwicklungsarbeit hinter sich. Stuttgart sei, da man schon an S-Bahn-Tunneln im Anhydrit mitgewirkt habe, bekanntes Terrain.