Noch einmal haben sich Tausende Gegner vor dem Hauptbahnhof versammelt, um gegen Stuttgart 21 zu demonstrieren. Künftig sollen sie anderswo protestieren. Die Grünen wären auch dafür – stoßen damit aber in der Protestszene auf wenig Gegenliebe.
Stuttgart - Auch bei der 200. Auflage der Montagsdemonstration gegen Stuttgart 21 hat sich eines nicht geändert: Die Zahl der Teilnehmer wird von Organisatoren und der Polizei ganz unterschiedlich gesehen. 7500 waren es laut Veranstalter. Fest steht: Mehrere Tausend Gegner des Bahnprojekts kündigten bei Kundgebung am Hauptbahnhof und Marsch zum Neuen Schloss an: „Wir lassen nicht locker.“ Dabei spielte vor allem der Rückblick auf 200 Demonstrationen seit Ende Oktober 2009 eine Rolle – im Hintergrund aber auch der Plan von Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU), der Montagsdemos künftig von der Schillerstraße vor dem Hauptbahnhof verbannen will.
Die Parkschützer wollen das nicht hinnehmen – und verweisen darauf, dass derselbe Plan schon einmal im Oktober 2010 vom Verwaltungsgerichtshof (VGH) kassiert wurde. „Wir werden uns keinen anderen Ort zuweisen lassen“, verkündete Moderator Klaus Hemmerle unter dem Jubel der Demonstranten. Dass Demos „bis Ende 2013 am Arnulf-Klett-Platz genehmigt seien“, hatte Hemmerle aber falsch verstanden.
Verkehrsstaus, die das Verbot begründen sollen, gab es durchaus wieder. Auf den Umleitungsstrecken der Heilbronner- und Wolframstraße, im Planie- und Wagenburgtunnel standen die Kolonnen. „Wir versuchen das mit längeren Grünphasen zu beschleunigen, je nachdem, wo der Stau länger ist“, hieß es in der Integrierten Verkehrsleitzentrale. Allerdings seien den Möglichkeiten Grenzen gesetzt.
Die Polizei sah in der Jubiläumsveranstaltung reine Routine: „Da haben sich Systematiken eingespielt“, sagte Polizeisprecher Stefan Keilbach. Blockaden habe es schon seit längerem nicht mehr gegeben, man versuche den Verkehr weit vor dem Veranstaltungsort umzuleiten. Die Zahl der Beamten wurde von 130 auf 170 erhöht.
Der Vorstoß von Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) sei mit OB Fritz Kuhn (Grüne) abgestimmt, hieß es am Montag im Rathaus. Kuhn ist zwar Gegner des Bahnprojekts, fährt aber in seiner Funktion als OB einen pragmatischen Kurs. Kommentieren wollte er Schairers Pläne nicht.
Bei den Fraktionen kann sich der Ordnungsbürgermeister der mehrheitlichen Unterstützung sicher sein. „Der Verkehr muss funktionieren“, sagt CDU-Chef Alexander Kotz. „Eigentlich haben wir darauf gehofft, dass der gesunde Menschenverstand der Veranstalter ausreicht und sie selbst einen neuen Ort finden.“ Er bringt als Alternative den Schlossgarten ins Spiel. Dieser sei nicht nur wegen der Nähe zum Baufeld günstig. Dort könnten auch Aufbauten und technische Anlagen wie Lautsprecher fest installiert werden.
Auf dieser Linie sind auch FDP und Freie Wähler. „Der Einzelhandel, die kulturellen Einrichtungen, der Verkehr wird eingeschränkt – das ist nicht länger zumutbar“, so FDP-Chef Bernd Klingler. „Man muss abwägen zwischen der Wahl des Ortes für eine Demonstration und den Einschränkungen für viele, viele Stuttgarter“, sagt Jürgen Zeeb von den Freien Wählern. SPD-Fraktionschefin Roswitha Blind ist es wichtig, dass es keinerlei Einschränkung des Demonstrationsrechts geben darf, denn dies sei ein hohes Gut. Staus und Busausfälle seien den Bürgern jedoch nicht länger zuzumuten. Beim Ausweichort sei zu bedenken, dass dieser „öffentlich gut wahrnehmbar“ sei.
Auch die Grünen im Gemeinderat sind für eine Verlegung und weisen darauf hin, dass es auch im Aktionsbündnis seit längerem Überlegungen in diese Richtung gebe. Der Kreisverband der Grünen ist dort Mitglied. Man könne nicht einerseits für einen besseren Bahnhof und damit für einen besseren Nahverkehr demonstrieren und andererseits den Nahverkehr in der Stadt Woche für Woche blockieren, sagt Fraktionschef Peter Pätzold. Er hält den Marktplatz für den idealen Demo-Ort, aber auch der Schlossgarten könne eine Möglichkeit sein, wenn der Marktplatz wie derzeit durch den Weihnachtsmarkt besetzt sei.
Kritik kommt indes von Hannes Rockenbauch, Fraktionschef der SÖS/Linke. Er hält vor allem die Vorgehensweise der Stadt für falsch. Eine verordnete Verlegung werde nur eine Gegenreaktion hervorrufen. „Viele werden sich sagen, jetzt erst recht“. Zum Grundrecht der Demonstrationsfreiheit gehöre auch die freie Wahl des Ortes. Besser wäre es aus seiner Sicht gewesen, sich mit den Demonstranten an einen Tisch zu setzen und über Alternativen nachzudenken. Trotzdem hat er Verständnis für die Bürger, die sich über Behinderungen im Feierabendverkehr und in Bussen und Bahnen beschweren. „Für mich wäre daher der Marktplatz als Ort ideal.“
Ordnungsbürgermeister Martin Schairer hat seine Pläne noch einmal verteidigt: „Wir haben die Lautenschlagerstraße und die Nordbahnhofstraße vorgeschlagen“, sagte er auf Anfrage, „wenn die Veranstalter andere Vorschläge haben, sind wir gesprächsbereit.“ Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs müsse nach drei Jahren differenziert betrachtet werden: „Die Rahmenbedingungen haben sich seither verändert“, so Schairer. Die Montagsdemo an sich stehe nicht zur Disposition: „Es geht nicht um ein Ob, sondern um den Ort.“