Noch am selben Abend räumt die Polizei den Nordflügel. So manchen Gegner müssen die Beamten heraustragen. Alle Besetzer werden wegen Hausfriedensbruch angeklagt. Auch SÖS-Stadtrat Hannes Rockenbauch (2.v.re. oben), der den Aktivisten spontan gefolgt war. Foto: dpa

Die Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen gegen 55 Bahnhofsbesetzer abgeschlossen.

Stuttgart - Mit 41 Strafbefehlen und zwei Anklagen gegen zwölf Beschuldigte hat die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen 55 Bahnhofsbesetzer abgeschlossen. Diese waren am 26. Juli während einer sogenannten Montagsdemonstration in den damals noch stehenden Nordflügel eingedrungen. Zwei Verfahren wurden eingestellt, weil der Aufenthaltsort der Betroffenen unbekannt ist. "Den Beschuldigten wird Hausfriedensbruch vorgeworfen", sagte Staatsanwaltssprecherin Claudia Krauth am Donnerstag. Zwei Stuttgart-21-Gegner müssen sich außerdem wegen illegalen Waffenbesitzes verantworten.

Die Höhe der Strafbefehle reicht von 20 bis 60 Tagessätzen. Zum Vergleich: Bei 91 Tagessätzen gibt es einen Eintrag ins Führungszeugnis, der Betroffene gilt als vorbestraft. Unter den Beschuldigten ist auch der SÖS-Stadtrat Hannes Rockenbauch. Laut Staatsanwaltssprecherin sind 34 Strafbefehle inzwischen erlassen worden, bei sieben hat der zuständige Richter noch nicht unterschrieben. Vier Nordflügel-Besetzer hatten das Gebäude vor der polizeilichen Räumung verlassen - bei ihnen enthält der Strafbefehl eine Verwarnung mit sogenanntem Strafvorbehalt.

Die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft sind freilich nicht das Ende des juristischen Nachspiels. Einige Beschuldigte haben gegen die Strafbefehle bereits Einspruch eingelegt - ihre Fälle müssen somit im nächsten Jahr bei einer mündlichen Verhandlung beim Amtsgericht geklärt werden. Einige Aktivisten wollen das Verfahren als politische Plattform nutzen.

Zwölf kommen vor den Jugendrichter

Bei zwölf Beschuldigten muss ohnehin vor einem Jugendrichter verhandelt werden. Die Besetzer waren zur Tatzeit im Sommer zwischen 15 und 20 Jahre alt. "Bei Jugendlichen und Heranwachsenden darf von Gesetz wegen kein Strafbefehl einfach schriftlich zugestellt werden", sagt Staatsanwältin Krauth, "es muss eine mündliche Verhandlung geben."

Die Besetzung des Nordflügels galt damals als neue Eskalationsstufe der Proteste gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21. Die Gegner waren in den leeren und mit Spanplatten verbarrikadierten Flügel eingedrungen, hatten von den Fenstern im zweiten Stock mit Spruchbändern den Erhalt des denkmalgeschützten Hauptbahnhofs gefordert. "Wir halten den Nordflügel so lange besetzt, bis aktuelle Fakten und Zahlen zur Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm veröffentlicht sind", hatte Parkschützer-Sprecher Matthias von Herrmann erklärt. Polizeipräsident Siegfried Stumpf sprach von einer "gewissen Radikalisierung".

Einer der Besetzer vom 26. Juli ist bereits seit November rechtskräftig wegen Hausfriedensbruchs, Körperverletzung und Widerstands gegen die Staatsgewalt verurteilt. Der 47-Jährige hatte bei der polizeilichen Räumung einen Beamten angegriffen und war in Untersuchungshaft gekommen. Bei einem sogenannten beschleunigten Verfahren wurde der einschlägig polizeibekannte Gewalttäter zu einer Haftstrafe von vier Monaten und zwei Wochen verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dagegen hatte der 47-Jährige zunächst Berufung eingelegt, diese später aber zurückgenommen. Der Gerichtsfall war in der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet geblieben: Am Tag des Prozesses am 25. August hatten Bagger mit dem Abriss des Nordflügels begonnen.