Die Vortriebsbohrmaschine Suse im Fildertunnel. Foto: Leif Piechowski

Die Bahn ändert ihre harte Haltung bei der Entschädigung von Grundstückseigentümern. Von Stuttgart 21 betroffene Hausbesitzer müssen nicht mehr aufwendig nachweisen, dass die Bahn Gebäudeschäden verursacht hat. Der Verkehrskonzern muss stattdessen belegen, dass er es nicht war.

Stuttgart - Ein Riss in der Wand, ein verschobenes Dach, eine Mulde im gepflasterten Hof ist der Albtraum eines jeden Hausbesitzers. Doch wer ersetzt den Schaden, zumal wenn direkt darunter oder daneben im großen Stil gebaut wird? In sogenannten Dienstbarkeitsvereinbarungen mit den Grundstücksbesitzern sind das Prozedere im Schadensfall und die Höhe der Entschädigung für den Grundbucheintrag wegen des Tunnel festgelegt.

Bei Stuttgart 21 musste oder muss die Bahn in der Landeshauptstadt rund 3000 solcher Verträge schließen – und hatte dabei ein vergleichsweise geringes Risiko: Entdeckt der Eigentümer am Haus einen Riss, musste er bisher belegen, dass der Schaden durch den Tunnelbau der Bahn, durch Rammerschütterungen oder durch eine Hangbewegung hervorgerufen wurde. Andernfalls gibt es keinen Schadenersatz. Diese Praxis ist rechtlich einwandfrei. Betroffene nennen sie ungerecht.

Der Verkehrskonzern hat diese Praxis jetzt geändert und formuliert die Verträge mit Eigentümern anders. „Die Bahn muss darlegen, dass ein Schaden eine andere Ursache hat“, sagte Bahn-Anwalt Peter Schütz am Dienstag bei einer Bürgerveranstaltung in Untertürkheim. Fast beiläufig erwähnte er auf Nachfrage eines Zuhörers, dass dies in die Verträge aufgenommen werde. „Damit entlasten wir die Anlieger ein Stück weit, die Gewichte werden etwas anders verteilt.“ Eine S-21-Sprecherin bestätigte am Mittwoch den Stuttgarter Nachrichten die veränderte Entschädigungspraxis.

Im Kern heißt das: Entdeckt ein Eigentümer, dessen Haus in bereits definierten Grenzen um den Tunnel liegt, einen Schaden, der wahrscheinlich von S-21-Bauarbeiten verursacht wurde, kann er sich den Gutachter zunächst sparen. Erst ist die Bahn am Zug: Um der Entschädigungszahlung zu entgehen, muss sie beweisen, dass ein anderer Schuld hat.

Manchen Hauseigentümer dürfte dieses unter dem Begriff Beweislastumkehr lange geforderte Umdenken der Bahn überraschen. Sie sah die Beweislast bisher beim Geschädigten. Betroffen ist beim derzeitigen Stand der Bauarbeiten vor allem das Kernerviertel, unter dem ein Rettungsstollen für den künftigen Fildertunnel entsteht. Teilweise werden dort Keller von der Röhre unmittelbar unterfahren. Anwohnern hatte die Bahn den neuen, sogenannten Anscheinsbeweis angeblich erst ab 30 Meter Entfernung von der Röhre angeboten.

Über Gründe, die zu der Kehrtwende geführt haben, war von der Bahn bis zum Mittwochabend nichts zu erfahren, auch nichts über mögliche Mehrkosten infolge einer größeren Anzahl Entschädigungszahlungen.

Nur ein Betroffener hatte bei der Bahn diese Umkehr der Beweislast bereits erreicht und sich vertraglich zusichern lassen: Der Zweckverband Landeswasserversorgung, der rund drei Millionen Menschen im Land mit Trinkwasser versorgt, hat seine Zentrale im Kernerviertel am Wagenburgtunnel. Hier unterließ es die Bahn, sich in einem sogenannten Gestattungsvertrag rechtzeitig die Erlaubnis zur Unterquerung des Gebäudes einzuholen. Folge: ein Baustopp vor der Grundstücksgrenze. Jeder Tag des zwei Wochen währenden Stillstands soll 20 000 Euro gekostet haben. Die Bahn habe wegen des Zeit- und Kostendrucks diese Ausnahme gewährt, heißt es. Etliche Betroffene verfügen über Verträge mit dem alten Passus.

Um entschädigt zu werden, müssen sich Eigentümer regen. „Beteiligen Sie sich an der Beweissicherung“, forderte Bahn-Jurist Schütz die Anwesenden in Untertürkheim auf. Dort werden Gleise zum künftigen Hauptbahnhof im Tunnel geführt. Allerdings können nur jene Ansprüche geltend machen, deren Eigentum sich in genau definierten Bereichen um die Baustelle befindet. Die Grenzen finden sich im Internet unter:

www.biss21.de