Die Rosensteinbrücke über den Neckar Foto: Lichtgut/Christian Hass

Eigentlich ist sie dem Tod geweiht, doch an ihrem Ehrentag naht Rettung. Die Eisenbahnbrücke über den Neckar ist 100 Jahre alt geworden. In naher Zukunft sollte sie Stuttgart 21 zum Opfer fallen, doch die Helfer formieren sich.

Stuttgart - Ein Loch schien den Menschen auch schon vor Stuttgart 21 Angst zu machen. Und so dichteten sie ein Liedlein, um sich Mut zu machen, wenn sie mit Zug in den Tunnel unter dem Schloss Rosenstein fuhren. Ob man die Sonne wieder sehen würde? So sang man: „Zwischa Cannstatt ond Stuagert, / do stoht a Tunnel, / wenn mer neifährt, wird’s donkel, / wenn mer nausfährt, wird’s hell.“ Ein passendes Geburtstagsständchen für Tunnel Nummer zwei, der am 25. November 1915 samt dazugehöriger Brücke über den Neckar eingeweiht wurde. Zum Jubiläum schenken wir einen Rückblick und einen Ausblick.

Der Vordenker

König Wilhelm I. krempelte den Agrarstaat um, er erkannte die Chancen des aufkommenden Dampfzeitalters und modernisierte Württemberg. Nicht nur zur Freude seiner Untertanen. Man raunte von einem „rauchenden, pfeifenden und stöhnenden Ungeheuer, das man Locomotive nennt“. Ärzte warnten, die schnelle Zugfahrt werde bei den Passagieren „unfehlbar eine Gehirnerkrankung erzeugen“. Und ein gewisser Carl Etzel plädierte für einen Antrieb mit Pferden statt modernen Dampfloks. „Dem Passagier, welcher zu seinem Vergnügen reist, wird die Geschwindigkeit der Pferdebahn von zwei deutschen Meilen in der Stunde durch das fruchtbare, blühende Württemberg eher zu groß als zu klein dünken.“ Zehn Jahre später baute eben dieser Carl Etzel den Rosensteintunnel und die erste Brücke über den Neckar.

Der Vorgänger

Franz Dingelstedt war Vorleser und Bibliothekar des Königs. Er begrüßte den Bau des Tunnels 1844 mit seinem Gedicht: „Der Schwaben-Stamm“, gereimt zu folgendem Anlass: „Als im Schlossgarten zu Stuttgart der erste Baum gefällt wurde im Wege der neuen Eisenbahn.“ Propaganda war vonnöten, auch damals gab es Kritiker. Etzel versicherte aber: „Dass dem Schlosse selbst von der Durchführung eines Tunnels keine Art von Schaden drohe, dafür bürgt einerseits eine Entfernung von 40 Fuß zwischen dem Schluss der Tunnelwölbung und dem Erdboden um das Schloss, andererseits die Sicherheit, mit welcher man in neuerer Zeit dergleichen Arbeiten auszuführen weiß.“ Das Schloss Rosenstein blieb unversehrt, doch weil Wasserbecken undicht waren, ergoss sich Schlamm in den Tunnel. Die Arbeiten verzögerten sich. Erst im Juli 1846 wurde der Tunnel fertig. Die anschließende Brücke baute man aus Holz, weil man nicht sicher war, ob die Eisenbahn Bestand hatte oder nicht doch nur neumodisches Klump war. Unter den Schienen hängte man schon damals einen Steg für die Fußgänger auf. Doch weil der so schwankte, wenn die Bahn darüberrumpelte, traute sich niemand darauf.

Der Jubilar

Die Eisenbahn wurde eine Erfolgsgeschichte. Die Passagiere blieben gesund und fanden auch die Geschwindigkeit angemessen. So wurden Tunnel und Brücke zu klein. Man brauchte mehr Schienen und mehr Platz für die größeren und kräftigen Loks. Der Architekt Manfred Mayer plante die neue Brücke und den Cannstatter Bahnhof, der zur gleichen Zeit gebaut wurde. Der neue Tunnel ist etwa 350 Meter lang und wurde in offener Bauweise gebaut. Deshalb sind auf dem Hügel auch keine größeren Bäume zu finden, nur rechts und links davon. Die Brücke ist etwa 320 Meter lang und 16 Meter breit. Sie war damals die längste Betonbrücke der Welt. Man hat sie gar mit Zierrat versehen. Wer genau hinschaut, sieht auf einer Seite das Relief eines Römers mit einem Cannstatter Wappen, auf der anderen Seite das Stuttgarter Rössle.

Die Pläne

Wann die ersten Züge im neuen Stuttgarter Hauptbahnhof tatsächlich fahren? Man weiß es nicht. Die Bahn geht davon aus, dass es 2021 so weit ist. Dann braucht man die alte Rosensteinbrücke nicht mehr. Eine neue Brücke ersetzt sie. Ihr droht der Abriss. Doch ihr sind Lebensretter erwachsen. Angeführt vom Cannstatter Bezirksbeirat Peter Mielert (Grüne) möchten sie die Brücke erhalten. Sie soll für Radfahrer und Fußgänger als Weg über den Neckar dienen und Neckarpark und das neue Rosensteinquartier verbinden. Der Radweg soll durch eine der beiden Tunnelröhren weiter zum Schlossgarten führen. In die andere Röhre könnte wieder die Röhre, Gott habe sie selig, einziehen. Der durch S 21 gemeuchelte Club könnte an dieser Stelle seine Wiederauferstehung erleben. Die Brücke soll begrünt und bepflanzt werden, man kann sich dort einen Fitnessparcours, einen Flohmarkt und einen Spielplatz vorstellen.

Die Unterstützer

Studenten der Uni Stuttgarthaben Pläne gezeichnet, untersuchen gerade deren Wirtschaftlichkeit. Was kostet ein Abriss? Was kostet der Umbau? Was kostet der Erhalt? Die Bahn könnte sich vorstellen, das Bauwerk der Stadt zu überlassen, hat Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) bereits vorgefühlt. Auch OB Fritz Kuhn hat bereits bekundet, dass er sich für die Idee begeistern kann. Einzig die CDU ist skeptisch.

Die Vorbilder

In London plant man die Garden Bridge über die Themse, in Washington will man eine alte Straßenbrücke begrünen und für Fußgänger und Radler umwidmen. In New York hat man eine 2,4 Kilometer lange Hochbahntrasse umgewidmet, sie ist nun der High Line Park. In Paris hat man aus einer 4,7 Kilometer langen Zugtrasse die Promenade Plantée gemacht, ein Park der sich über ein Viadukt und durch einen Tunnel erstreckt.