Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Aussenminister und Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP), am Donnerstag im Bundestag in Berlin. Foto: dpa

Am Tag nach der Eskalation der Proteste beschäftigt Stuttgart 21 nun auch die Bundespolitik.

Stuttgart - Die Eskalation der Proteste gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 beschäftigt nun auch die Bundespolitik. Am Freitag kam auf Antrag der Linken der Innenausschuss des Bundestages zu einer Sondersitzung zusammen, um über die umstrittene Polizeiaktion zu beraten. Innenpolitiker von Linken und Grünen verurteilten dabei das Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten. Dagegen verteidigte Baden-Württembergs Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) den Einsatz. Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) betonte im ARD-"Morgenmagazin", die Einsatzkräfte seien von der Aggressivität der Demonstranten entsetzt gewesen.

Kinder "bewusst nach vorne geschoben"

"Wir hätten gerne eine Baustelle eingerichtet ohne Polizeieinsatz", sagte Gönner im Deutschlandfunk. Es sei immer klar gewesen, dass kein Baustopp eingeleitet werde. Es sei unverhältnismäßig, dass Baustellen für Zukunftsprojekte in einem solchen Umfang abgesichert werden müssten. Bei den Protesten der "Stuttgart 21"-Gegner sei die Grenze der Friedlichkeit überschritten worden, betonte die Ministerin. Sie bedauere, dass beim Polizeieinsatz auch Kinder verletzt wurden. Es könne aber nicht sein, "dass Kinder in solch einer Demonstration bewusst nach vorne geschoben werden".

Innenminister Rech erklärte, dass die Schülerdemonstration von Aktivisten instrumentalisiert worden sei. Es habe unmittelbar Widerstandshandlungen gegen die Polizei gegeben, dabei seien Polizeifahrzeuge angegriffen und Reifen zerstochen worden. Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) wies die Vorwürfe zurück, Polizisten seien unangemessen gegen Gegner des Projekts vorgegangen. Gewerkschaftschef Rainer Wendt sagte dem Nachrichtensender n-tv, an diesem Einsatz sei "nichts, aber auch gar nichts auszusetzen".

"Politische Bankrotterklärung" von Mappus

Auf Antrag der Linken kam unterdessen in Berlin der Innenausschuss des Bundestages zu einer Sondersitzung zusammen, um über die umstrittene Polizeiaktion zu beraten. Innenpolitiker von Linken und Grünen verurteilten dabei das Vorgehen der Einsatzkräfte. Der Ausschuss wird sich am Mittwoch erneut mit dem Thema befassen. Die Forderung aus der Opposition nach einer öffentlichen Parlamentsdebatte noch im Laufe des Tages scheiterte hingegen. Nach der Unterrichtung des Innenausschusses erhob der Grünen-Politiker Wolfgang Wieland schwere Vorwürfe gegen die baden-württembergische Landesregierung und die Polizei. Es sei die "Falschinformation" eingeräumt worden, dass seitens der Demonstranten mit Pflastersteinen geworfen worden sei. "Es handelte sich ganz offenbar um Kastanien."

Der Linke-Politiker Jan Korte sprach von einer politischen Bankrotterklärung von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU). Es sei schlicht nicht hinnehmbar, dass gegen Rentner und Schüler mit solch einem Polizeiaufgebot vorgegangen werde. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir sagte, die Gewalt sei von der Landesregierung ausgegangen. Er prognostizierte, dass die veranschlagten rund 7 Milliarden Euro auf 18 Milliarden anwachsen würden.

Gröhe weist "schäbige" Kritik an Merkel zurück

Der Vorsitzende des Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), wies dagegen die Kritik zurück. Bundesregierung und Bundespolizei könnten nur "wenige Stunden nach den dramatischen Ereignissen von Stuttgart" nicht in der Lage sein, das Gesamtgeschehen umfassend darzustellen. Voreilige Schuldzuweisungen dürfe es nicht geben. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe warf den Grünen "völlig verantwortungsloses" Handeln vor. "Aus zahlreichen Verletzten mit abstrusen Vorwürfen an die Bundeskanzlerin politischen Vorteil ziehen zu wollen, ist zutiefst schäbig", kritisierte Gröhe. Er rief die Spitzen der Grünen auf, die Situation in Stuttgart "nicht weiter aufzuheizen".

Die zuvor friedlichen Proteste gegen das Bahnprojekt waren am Donnerstag eskaliert. Bei Absperrungen für Baumfällarbeiten im Stuttgarter Schlossgarten setzte die Polizei gegen die Demonstranten Wasserwerfer und Pfefferspray ein, um deren Blockaden zu lösen. Die Demonstranten sprachen von mehreren Hundert Verletzten. Der Polizei zufolge wurden rund 130 Menschen verletzt, darunter auch sechs Polizisten. In der Nacht zu Freitag hatten im Schlosspark unter dem Protest von rund 2.000 Demonstranten die Baumfällarbeiten für das Bahnprojekt begonnen.