Die Partner der Bahn bei Stuttgart 21 geben an diesem Mittwoch ihre Klageerwiderung gegen die Mitzahlung an den Mehrkosten ab. Sie erwarten, dass die Klage der Bahn abgewiesen wird. Zuversichtlich machen sie Dokumente des Ex-Bahnchefs Hartmut Mehdorn.
Stuttgart - Das Land Baden-Württemberg sowie die Stadt und Region Stuttgart und die Flughafengesellschaft wehren sich mit vier Anwaltsbüros gegen die von der Bahn verlangte unendliche Mitzahlung an Stuttgart 21. Der Konzern hatte nach einem Beschluss des Aufsichtsrates im Dezember 2016 Klage vor dem Verwaltungsgericht eingereicht. Stuttgart 21 steht seit vergangener Woche statt bei den vertraglich vereinbarten 4,5 bei 8,2 Milliarden Euro Baukosten. Von den Mehrkosten sollen die Partner laut Klage 65 Prozent übernehmen – das macht 2,4 Milliarden Euro. Das Land, die Region und die Flughafengesellschaft haben am Mittwoch ihre Klageerwiderungen am Verwaltungsgericht eingereicht, die Stadt hat um eine weitere Fristverlängerung gebeten und wird im Februar die Erwiderung abliefern.
Zuversichtlich macht das Land eine 2007 getroffene Absprache zwischen dem damaligen Ministerpräsidenten Günther Oettinger und dem früheren Bahn-Chef Hartmut Mehdorn. Nach Darstellung des Landes verzichtete Mehdorn damals auf eine eindeutige Finanzierungsklausel zur Beteiligung der Projektpartner an möglichen Mehrkosten, weil es ihm wichtiger war, dass das Land damals eine Geldzusage von weiteren 473 Millionen Euro machte, die die Projektpartner übernahmen. In einer ersten Reaktion erklärte die Bahn, dass „sie sich an Spekulationen über mögliche Finanzierungsanteile der Projektpartner an den Mehrkosten nicht beteiligen wird, bevor das laufende Verfahren nicht abgeschlossen ist“. Oettinger, EU-Kommissar in Brüssel, erklärte, dass er sich „mit Respekt vor allen Beteiligten“ zu dem Thema nicht äußern wolle.
Auch die Flughafen-GmbH und die Region reichten am Mittwoch ihre Klageerwiderungen beim Gericht ein, die sich an die Argumentation des Landes anlehnen. Die Region verweist zudem darauf, dass sie einen Festbetrag von 100 Millionen Euro zu S 21 beigesteuert hat, „an einer Risikofinanzierung waren wir nie beteiligt“. Deshalb sei die Region gar nicht betroffen. Die Stadt Stuttgart wird nach einer weiteren Fristverlängerung ihre Erwiderung im Februar einreichen. „Die Stadt wird sich an Mehrkosten nicht beteiligen und dies darlegen“, sagte OB-Sprecher Andreas Scharf.
Das Land und seine Partner haben für die allein auf Landesseite 200 Seiten starke Klageerwiderung Verwaltungsunterlagen der vergangenen Jahre gesichtet. Das von der Berliner Kanzlei White & Case LLP konzipierte Papier hat 60 Anlagen, in denen die Vorgänge vor allem aus den Jahren 2007, als die S-21-Partner eine Erklärung unterschrieben, bis zum Finanzierungsvertrag beleuchtet werden. Das Land plädiert, die Klage abzuweisen, und nennt einen Hauptgrund: Der damalige Bahn-Chef Hartmut Mehdorn habe in der Endphase der Verhandlungen zur gemeinsamen Erklärung (Memorandum of Understanding) zusätzliches Geld vom Land gefordert. Damals habe sich abgezeichnet, dass das Projekt mehr als drei Milliarden Euro kosten werde und der Risikopuffer aufgestockt werden müsse. Er lag am Ende bei 1,5 Milliarden. Das Land hatte damals, so die Darstellung des heute federführenden, von Winfried Hermann (Grüne) regierten Verkehrsministeriums, laut den Unterlagen einen Passus zur weiteren Mitzahlung angeboten. Für den „unwahrscheinlichen Fall“, dass noch mehr Geld benötigt würde, sollten Bahn und Land beschließen, die Aufteilung der Steigerung „einvernehmlich zu regeln“.
Land soll dank eines Deals aus dem Risiko entlassen worden sein
Der Passus fand sich im Finanzierungsvertrag nicht. Stattdessen wurde die aus Sicht des Landes unverbindliche Sprechklausel in Paragraf 8 eingefügt (bei höheren Mehrkosten werden Gespräche aufgenommen). Grund: Der Bahnkonzern wollte „unmittelbar einen dreistelligen Millionenbetrag haben – und dafür kein weiteres verbindliches Zahlungsversprechen“, heißt es im Ministerium. Der Deal sei „auf höchster Ebene“ geschlossen worden: zwischen Mehdorn und Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU). Für eine höhere feste Geldzusage, 473 Millionen Euro, habe Mehdorn damals auf die weitere Finanzierungsklausel verzichtet.
Das Land habe einen hohen Preis dafür gezahlt, um aus dem Risiko zu kommen. Alle Ministerpräsidenten nach Oettinger hätten daher zu Recht darauf verwiesen, dass die Zahlungspflicht des Landes und seiner Partner nicht über die 4,5 Milliarden hinausgehe und das Land nicht mehr als die vereinbarten 930 Millionen Euro zahlen müsse – eine Nachschusspflicht sei ja nicht ausdrücklich geregelt worden. Die Bahn habe außerdem über Stuttgart 21 stets vom „bestgeplanten Projekt“ gesprochen.
Das Land sieht nur eine Lösung: Der Bund muss zahlen
Die zwischen Staats-, Justiz-, Finanz-, Innen- und Verkehrsministerium abgestimmte Klageerwiderung argumentiert außerdem, dass Mehdorns Nachfolger Rüdiger Grube Ende 2009, also neun Monate nach Abschluss des Finanzierungsvertrages, trotz einer erkennbaren Kostensteigerung auf fünf Milliarden Euro die Chance für Nachverhandlungen oder einen Ausstieg aus S 21 nicht genutzt habe. Grube habe zwar gesagt, S 21 sei „hart kalkuliert“, er habe aber angenommen, erhebliche Einsparungen realisieren zu können.
Die Ursachen für die exorbitanten Kostenerhöhungen sieht das Land in der Klage nicht dargelegt. Die Vorwürfe an die Projektpartner seien pauschal. Dass die Bahn selbst, wie im Aufsichtsrat eingeräumt, eine Erhöhung von einer Milliarde Euro durch eigenes Versäumnis zu verantworten habe, findet sich in der Klage nicht. Um der Finanzierungsmisere zu entkommen, sieht das Land nur eine Lösung: Der Bund als alleiniger Eigentümer der Bahn müsse die Mehrkosten übernehmen.
Die Bahn hat die Möglichkeit zu einer Replik auf die Klageerwiderung, das Land und seine Partner können darauf erneut antworten. Mit einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher nicht vor Mitte 2019 zu rechnen.