Ein Modell des geplanten, neuen Stuttgarter Hauptbahnhofs. Foto: dpa/Christoph Schmidt

Unter Druck hat die Bahn ein Gutachten zum Brandschutz bei Stuttgart 21 herausgerückt. Per gerichtlichem Vergleich durften sich Kritiker die Expertise anschauen. Nach der Lektüre herrscht Ernüchterung.

Stuttgart - Kritiker des Milliarden-Bahnprojekts Stuttgart 21 sehen auch nach Einsicht in bislang von der Bahn geheimgehaltene Unterlagen Versäumnisse beim Brandschutz für das Großprojekt. Ein von der Bahn in Auftrag gegebenes Brandschutzgutachten, dessen Lektüre sie sich vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim erstritten hatten, habe wichtige Fragen offengelassen, teilte die Gruppe „Ingenieure 22“ mit. Nach einem Vergleich des VGH auf Basis des Umweltinformationsgesetzes durften die Gegner des Bahnprojektes das Gutachten einer Schweizer Firma zum Brandschutz einsehen. (Az: 10 S 2314/18).

Worst Case außer Acht gelassen

Darin hätten die Fachleute etwa den schlimmsten anzunehmenden Fall völlig außer Acht gelassen, sagten Wolfgang Jakubeit und Gert Meisel von der Kritikergruppe. Dieser Fall sei, dass der Brand den Weg zum nächst gelegenen Notausgang in die parallel verlaufende Tunnelröhre versperrt, die Passagiere länger zur nächsten Öffnung brauchen und dabei tödlichem Rauch ausgesetzt sind. Verbindungen zwischen zwei parallel laufenden Tunnelröhren gibt es alle 500 Meter. In dem Gutachten aus dem Jahr 2014 werde aber nur eine Evakuierungsstrecke von maximal 250 Metern angenommen. „Eine ungünstige Kombination aus Evakuierungsdauer und Rauchgasverteilung in Richtung der fliehenden Passagiere kann verheerende Folgen haben“, betonten die beiden S-21-Gegner.

Anlässlich des Vergleichs hatte die Bahn mitgeteilt, bei der Expertise handele es sich um eine Simulation für die Rettung aus einem Zug in einem Tunnel ohne Bezug zu einem bestimmten Infrastrukturvorhaben - also auch nicht zum Bahnprojekt Stuttgart 21. Die Deutsche Bahn veröffentlicht nach eigenen Angaben überdies grundsätzlich keine Dokumente, wenn dadurch die Sicherheit von Personen und Anlagen gefährdet sein könnte. Überdies sei das Brandschutzkonzept für den künftigen Stuttgarter Hauptbahnhof und die Tunnel des Bahnprojekts Stuttgart–Ulm von den zuständigen Behörden umfassend geprüft und genehmigt worden, fügte ein Bahnsprecher aus Anlass der Kritik hinzu.

„Bericht ist eine reine Trockenübung“

Die Ingenieure bemängeln, dass den Ausführungen keinerlei Übungen mit Rauch zugrunde liegen. Sie bezweifeln, dass mit computergestützten Simulationsprogrammen Probleme mit Rauchentwicklung realistisch abgebildet werden können. „Der vorgelegte Bericht ist eine reine Trockenübung und wurde lediglich unter Laborbedingungen erstellt“, bemängelte Jakubeit. Nicht einmal Erfahrungen mit anderen Tunnelbränden seien aufgenommen worden. Allein in der Landeshauptstadt werden im Zuge von Stuttgart 21 rund 60 Kilometer Tunnel gebaut.

Mit Blick auf den Kabelbrand am Stuttgarter Hauptbahnhof und seine weitreichenden Folgen für den Schienenverkehr sei das Chaos im Fall eines Tunnelbrandes gar nicht auszudenken, meinte Jakubeit. Beeinträchtigungen würden sich dann nicht über Tage, sondern über Monate erstrecken.

Auch ein jüngeres Gutachten mit dem Spitznamen „Tunnelspinne“ aus dem Jahr 2016 thematisiere die Probleme mit Rauch nicht, kritisierten die „Ingenieure 22“. Die Gruppe fordert nun von der Bahn, dass unleserliche Passagen des Schweizer Gutachtens leserlich nachgereicht werden.