Die Großbaustelle für den neuen Tiefbahnhof. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG hat wegen vieler Bauprobleme die Risikoreserve von 495 Millionen Euro freigegeben. Bisher bezeichnete DB-Vize Pofalla dies als Spekulation. Nun wird das Tunnelprojekt noch teurer.

Stuttgart - Das umstrittene Milliardenprojekt Stuttgart 21 wird noch teurer. Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG beschloss am Mittwoch die erneute Erweiterung des Kostenrahmens von bisher 7,7 Milliarden Euro. Dazu wurde die Risikoreserve von 495 Millionen Euro freigegeben. Das wurde unserer Redaktion in Aufsichtsratskreisen bestätigt.

Als Grund für die weitere Kostensteigerung werden intern unterirdische Bauprobleme und hohe Preissteigerungen bei Auftragsvergaben für den Tiefbahnhof und die 59 Kilometer Tunnel im Stadtgebiet genannt. S 21 soll Ende 2025 in Betrieb gehen. Dass die Risikoreserve jetzt schon benötigt wird, lässt vermuten, dass im Blick auf mehr als sechs Jahre weitere Bauzeit auch der bisherige Finanzrahmen von 8,2 Milliarden Euro nicht reichen wird. Noch sind Aufträge von mehr als 3 Milliarden Euro zu vergeben. Der zuständige DB-Vize und frühere Kanzleramtschef Ronald Pofalla hatte noch Ende März in Berlin auf Nachfrage unserer Redaktion erklärt, es seien „Spekulationen“, dass die Risikoreserve bald benötigt werde. Zuvor hatte unsere Redaktion exklusiv berichtet, dass interne DB-Papiere dokumentieren, dass die Kosten für S 21 weiter steigen und der Aufsichtsrat die Notreserve bald freigeben muss. Das löste bundesweit Schlagzeilen und erneute kritische Debatten aus.

Seit Baubeginn 2010 hat sich der Finanzrahmen fast verdoppelt

Pofalla hatte erst Anfang 2018 den großen Risikopuffer bei den Projektpartnern durchgesetzt, um weitere Schlagzeilen über weitere Kostenexplosionen bei S 21 zu vermeiden. Die Kontrolleure erweiterten dazu im Januar 2018 den Finanzrahmen für S 21 von 6,5 auf 8,2 Milliarden Euro nochmals drastisch.

Der Bundesrechnungshof hat schon vor Jahren vor Gesamtkosten von fast 10 Milliarden Euro gewarnt, ebenso wie Gutachten von Projektkritikern. Seit Baubeginn 2010 hat sich der damals auf 4,5 Milliarden Euro veranschlagte Finanzrahmen fast verdoppelt. Laut Rechnungshof muss die DB AG 5,2 Milliarden Euro an Eigenmitteln für S 21 aufbringen, fast das Zehnfache des letzten Jahresüberschusses. Der Staatskonzern hat Land und Stadt auf Beteiligung verklagt, Ausgang offen.

Verkehrsminister Winfried Hermann fordert Nachbesserungen von der DB AG

Für den Staatskonzern ist das Projekt krass unwirtschaftlich, wie Bahn-Chef Richard Lutz im Bundestags-Verkehrsausschuss einräumte. Die Kosten liegen bereits nach damaliger Rechnung um 2,2 Milliarden Euro über dem erhofften Nutzen. Fraglich ist, ob nur noch acht Bahnsteige im Tunnelbahnhof ausreichen, um die von der Bundesregierung angestrebte bundesweite Verdoppelung der Fahrgäste bis 2030 bei der Bahn auch nur annähernd bewältigen zu können.

Der SWR berichtete zudem, dass ein attraktiver Taktverkehr wegen zu geringer Kapazität von S 21 nicht möglich sei und Stuttgart vom künftigen Deutschlandtakt abgehängt werde. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) fordert nun Nachbesserungen von der DB AG. So müsse im Interesse der Bahnkunden darüber nachgedacht werden, einen Teil des bisherigen Stuttgarter Hauptbahnhofs mit seinen 16 Bahnsteigen und der Zulaufstrecken zu erhalten. Auch Matthias Gastel, Grünen-Bahnexperte im Bundestag, fordert mehr Kapazität.

Kritiker: Acht Gleise einer Durchgangsstation können 16 Bahnsteige nicht ersetzen

Nach bisheriger Planung soll die gesamte oberirdische Infrastruktur der Bahn in der Innenstadt verschwinden und die Gleisfläche mit Immobilien bebaut werden. Experten wie Matthias Lieb vom VCD Baden-Württemberg fordern statt des Abrisses eine Kombilösung wie in Zürich. Dort wurde der oberirdische Bahnhof durch unterirdische Tunnelanlagen ergänzt. So entstand eine der leistungsfähigsten Verkehrsdrehscheiben in Europa. In Stuttgart warnen Kritiker seit Langem, dass acht Gleise einer Durchgangsstation im Untergrund 16 oberirdische Bahnsteige nicht voll ersetzen können. Der Analytiker Christoph Engelhardt geht sogar von einer Verringerung der Leistungsfähigkeit des Stuttgarter Bahnknotens um 30 Prozent aus. Die DB AG bestritt das und argumentierte, durch schnelle Abfahrten und digitale Leittechnik sei auf halb so vielen Gleisen sogar mehr Verkehr möglich.