Sie erhob den Weiterbau von Stuttgart 21 zur Zukunftsfrage Deutschlands: Kanzlerin Angela Merkel. Foto: dpa

Verhandlungstermin: Projektkritiker wollen beim Verwaltungsgericht Berlin die vollständige Einsicht in die Unterlagen zum umstrittenen Weiterbau durchsetzen.

Stuttgart/Berlin - Am Donnerstag wird Eisenhart von Loeper wieder Berlin besuchen. Der Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 reist häufig von Nagold in die Bundeshauptstadt, um den anhaltenden Widerstand seiner Allianz gegen das Bahnprojekt zu organisieren. Nun steht ein besonders interessanter Termin im Kalender. „Kanzleramt vor dem Kadi“ – so hat das Bündnis die jüngste Pressemitteilung überschrieben. Das klingt reichlich übertrieben, denn in der Sache geht es vor dem Berliner Verwaltungsgericht um ziemlich trockene Materie. Konkret: Um die Frage, ob bisher stark geschwärzte Aktenvermerke aus der Berliner Regierungszentrale zu Stuttgart 21 vollständig offengelegt werden müssen. Eine Entscheidung wird nicht erwartet, die mündliche Verhandlung könnte dennoch spannend werden.

Angela Merkel ist betroffen

Denn betroffen sind große Namen wie Angela Merkel und ihr früherer Kanzleramtschef, der heutige Bahn-Vorstand für korrekte Unternehmensführung: Ronald Pofalla. Es geht um einen höchst brisanten Vorgang: die bis heute umstrittene Entscheidung zur Weiterführung des Milliardenprojekts. Der Aufsichtsrat der bundeseigenen Bahn AG genehmigte den Bau im Frühjahr 2013 trotz einer weiteren Kostenexplosion, drohender Unwirtschaftlichkeit sowie ungeklärter Finanzierung der Mehrkosten von mehr als zwei Milliarden Euro.

Hat das Kanzleramt damals unzulässig Einfluss auf die Entscheidung des Unternehmens genommen? Wurden macht- und parteipolitische Interessen auf Kosten der DB AG durchgesetzt? Zunächst stritten die Verantwortlichen alles ab. Dann allerdings konnte Rechtsanwalt von Loeper im Sommer 2014 erfolgreich die Herausgabe der vertraulichen S-21-Dokumente durchsetzen. Sie sind nun auf einer Webseite abrufbar (www.strafvereitelung.de).

Ein großer Erfolg für die Kritiker, denn seither ist bewiesen, dass das Kanzleramt vor der Entscheidung intensiv mit dem Projekt beschäftigt war. Kein Wunder: Sogar die drei im Kontrollgremium vertretenen Staatssekretäre aus dem Verkehrs-, dem Finanz- und dem Wirtschaftsministerium hatten ernsthaft wegen der hohen Mehrkosten den Ausstieg erwogen.

Ausstieg laut DB teurer als Bau

Der Ausstieg jedoch wurde nicht vollzogen, angeblich, weil das laut DB-Spitze teurer geworden wäre als der Weiterbau, was bis heute sehr umstritten ist. Fakt dagegen ist: Die Kanzlerin hatte öffentlich den S-21-Bau quasi zum Nachweis für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands erklärt. Im DB-Aufsichtsrat gab es nur eine Gegenstimme der Gewerkschaft GDL. Zwei Staatssekretäre hoben die Hand für den Bau, der dritte fehlte wegen plötzlicher Erkrankung.

Für Projektkritiker von Loeper steht fest, dass das Kanzleramt damals „den Weiterbau von S 21 definitiv und vorbehaltlos eingefordert hat“. Das habe die Anwaltskanzlei des Kanzleramts im Juni 2015 als „im Wesentlichen zutreffend“ eingestanden. Wohl, so vermutet der Jurist, um die beantragte Vernehmung der politischen Prominenz vor Gericht zu vermeiden.

Kritiker sehen Schaden für die Bahn

Mit der beantragten kompletten Offenlegung der Vermerke will das Aktionsbündnis nun noch mehr Licht in die Vorgänge auf Regierungsebene bringen. „Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, was da gelaufen ist“, sagt von Loeper. Wichtige Passagen sind bisher geschwärzt.

Wegen möglicher Haftungsrisiken, die Kontrolleuren bei vorsätzlicher Genehmigung unwirtschaftlicher Projekte drohen, hat der Aufsichtsrat im März bereits ein weiteres Rechtsgutachten beauftragt.

Wegen des Weiterbaus haben von Loeper und seine Mitstreiter in den vergangenen Jahren zahlreiche Strafanzeigen gegen Bahn-Chef Rüdiger Grube sowie weitere Manager und Aufseher wegen möglicher Untreue zum Schaden der DB erstattet. Bis jetzt wurden alle Verfahren eingestellt.