Die Bohrmaschine für den Fildertunnel misst 10,82 Meter im Durchmesser. Foto: Bahn AG

Die Bahn wird im Zuge von Stuttgart 21 rund 60 Kilometer eingleisige Tunnelröhren bauen. Betroffene Grundbesitzer sollen nach Regeln eines im Oktober 2012 von der Bahn veröffentlichten Gutachtens entschädigt werden. Dem Haus- und Grundbesitzerverein reicht das nicht aus. Er will gegen die Bahn klagen.

Stuttgart - Die Bagger und Bohrmaschinen sollen ihre Arbeit für die neue Gleis-Infrastruktur bei Stuttgart 21 im Frühjahr beginnen. Von der Jägerstraße aus sollen Tunnelröhren nach Feuerbach, von der A 8 beim Gewerbegebiet Fasanenhof aus die 9,5 Kilometer langen Röhren in Richtung des neuen Tiefbahnhofs gegraben werden. Von Wangen und der Willy-Brandt-Straße aus werden zwei Röhren in Richtung Obertürkheim und Stadtmitte entstehen.

 

In- und außerhalb des Stadtgebiets beansprucht die Bahn für ihr Projekt rund 6000 Grundstücke. Auf der weiteren Stecke nach Ulm sind es nochmals 6000. Auch wenn sie im Untergrund arbeitet, wird diese Arbeit für die Eigentümer dauerhaft sichtbar bleiben, denn die Tunnel werden in die Grundbücher eingetragen. Das bedeutet einen Wertverlust, der entschädigt werden muss. Bundesweit galt dabei ein zu den Olympischen Spielen 1972 beim U-Bahn-Bau in München entwickeltes Rechenmodell als Standard. In Stuttgart passt es nicht, weil die Münchner Entschädigungstabellen bei 20 Meter Tiefe enden. Die Bahn hat ein neues Gutachten beauftragt. Das kennt keine Tiefenbegrenzung mehr und differenziert stärker.

Die betroffenen Eigentürmer zeigen sich auch über die neuen Zahlen enttäuscht. „In der Sache hat sich da nicht viel geändert“, sagt Ulrich Hangleiter, der für das Netzwerk Killesberg spricht. Rund 180 Bürger haben sich darin zusammengeschlossen. „Wir wollen eine neue Form finden und bereiten die Gründung eines Vereins vor“, sagt Hangleiter. Damit könnte dann eine Musterklage gegen die Bahn unterstützt werden. Seit der Veröffentlichung des Gutachtens habe sich der Konzern nicht mehr gerührt, wundert sich der Bauingenieur im Ruhestand. Im Mai 2012 hatte die Bahn 500 Eigentümer angeschrieben und eine Blanko-Einverständniserklärung zu den Bauarbeiten gefordert. Über die Entschädigung könne man später verhandeln. Nach Protesten auch des Haus- und Grundbesitzervereins zog das Unternehmen zurück. Nach der Veröffentlichung des neuen Gutachtens habe man in einer mit 200 Betroffenen gut besuchten Veranstaltung Ende November Aufklärungsarbeit geleistet, sagt Hangleiter. Die nächste sei für Februar in der Planung.

Kaum Interesse an Entschädigungsansprüchen

Auf der anderen Talseite vertritt das Netzwerk Kernerviertel für seine Mitglieder die gleichen Interessen. „Wir hatten hier zuletzt am 7. August mit einem Beauftragten der Bahn Kontakt“, sagt Horst-Peter Meyer aus der Urbanstraße. Das Mehrfamilienhaus, unter dem sich der Tunnel in geringer Tiefe durchschieben wird, sei untersucht und fotografiert worden. Es geht um das Thema Beweissicherung. Mögliche Schäden sollen durch die Begutachtung vor Baubeginn später klar zugeordnet werden können. Die versprochene Kopie des Gutachtens habe man auch nach knapp sechs Monaten noch nicht, sagt Meyer: „Bei dem Thema herrscht Totenstille.“

Eine Macht in Sachen Interessenvertretung für die Grundeigentümer ist der Stuttgarter Haus- und Grundbesitzerverein mit rund 19.000 Mitgliedern. Er wollte am Mittwoch über die Entschädigungsansprüche informieren. Zu der kostenpflichtigen Vortagsveranstaltung meldeten sich aber nur acht Personen an. „Für uns ist dieses mangelnde Interesse nicht erklärbar“, sagt Vereinsgeschäftsführer Ulrich Wecker. Vielleicht sei das Thema „aus dem Blickfeld geraten, weil die Leute glauben, dass es mit Stuttgart 21 sowieso nichts mehr wird“, sagt der gelernte Rechtsanwalt. Man habe die Veranstaltung abgesagt. Die Marschrichtung für den Verein sei, nachdem er Stellungnahmen von Experten eingeholt habe, klar. Neben weiterer Beratung und Aufklärung werde es ein Gerichtsverfahren geben.

Auch mit dem neuen Gutachten biete die Bahn lediglich an, die Wertminderung des betroffenen Grundstücks im Tunnelbereich auszugleichen. Die darauf stehende Immobilie werde schlicht ausgeblendet. „Aus unserer Sicht muss ein Gesamtwert angesetzt werden, denn auch das Haus erleidet einen Wertverlust. Ein möglicher Käufer würde den Preis insgesamt betrachten und nicht nur das Grundstück“, rät Wecker der Bahn nachzubessern. „Geht die Bahn auf unsere Forderung nicht ein, werden wir ein Musterverfahren führen. Das ist uns die Sache wert und entspricht dem Selbstverständnis des Vereins“, kündigt Wecker eine Klage an.