Gangolf Stocker, Mitbegründer des S-21-Widerstands: "Bahn wird Rechnung noch schicken."  

Stuttgart - Der 67-jährige SÖS-Stadtrat Gangolf Stocker engagiert sich seit anderthalb Jahrzehnten für die Sanierung des Kopfbahnhofs. Nach der verlorenen Volksabstimmung warnt er die Befürworter von Stuttgart 21 vor zu viel Euphorie.

Herr Stocker, im November 1995 haben Sie zusammen mit Wolfgang Steinbach die Bürgerinitiative Leben in Stuttgart - Kein Stuttgart 21 gegründet. Ist die Geschichte der Initiative am Sonntag mit der Volksabstimmung zu Ende gegangen?
Nein, das nicht. Uns geht es heute allen nicht so gut. Aber das Projekt ist in sich so miserabel geplant, dass mit jedem Baufortschritt die nächste Leiche hochgespült wird. Unsere Argumente wurden durch das Ergebnis der Volksabstimmung nicht falsch.

Sie haben in zwei Anläufen für einen Bürgerentscheid in Stuttgart gekämpft. Nach 16 Jahren war jetzt eine Abstimmung möglich. Kam sie zu spät?
Auf jeden Fall, aber immerhin, sie kam. Auch wenn sie nicht zugunsten des Ausstiegs ausgefallen ist, war sie dennoch ein Erfolg. Dass in Stuttgart 47,1 Prozent und landesweit 41,2 Prozent mit Nein stimmen durften, hat sich der Protest erkämpft. Die Schlichtung war der erste, die Abwahl der Landesregierung war unser zweiter Erfolg. Aber der Filz ist noch da, in den Seilschaften wurde kräftig gezogen. Was OB Wolfgang Schuster mit seinem Brief an die Bürger gemacht hat, war eine Schweinerei. Aber jammern hilft nicht, wir müssen mit der Niederlage umgehen.

Stuttgart 21 wird weitergebaut werden. Der Regierungsauftrag ist klar. Sie hoffen, dass sich die Risiken des Baus schnell zeigen?
Ja, und sie werden sich schnell zeigen. Polizeipräsident Thomas Züfle hat deutlich gemacht, dass man 17 Kilometer Rohre für das Grundwassermanagement in der Stadt nicht bewachen kann. Der Bauherr muss sich also der Zustimmung der Bevölkerung sicher sein, wenn er jetzt weitermacht. Das ist nur eine objektive Feststellung und soll nicht als Aufruf missverstanden werden.

Stuttgart 21 könnte durchaus einige Verbesserungen vertragen, zum Beispiel am Flughafen. Eine lohnende Aufgabe für den Verein?
Nein, ich sehen keine Sinn darin, diesen Flughafen alle zwei Stunden an einen ICE-Verkehr anzubinden. Der Regionalverkehr dorthin würde Sinn machen. Aber eine direkte Anbindung mit der S-Bahn über die Gäubahn und ein S-Bahn-Ring wäre 100-mal sinnvoller als die Stuttgart-21-Pläne. Das wird noch spannend werden, was die Bahn da auf den Fildern beantragt. An dieser Planfeststellung werden wir uns noch mal sehr aktiv beteiligen.

Voraussichtlich im Januar wird die Bahn im Park jene Bäume fällen lassen, die nicht versetzt werden können. Was raten Sie der Bahn?
Ich bin gespannt. Herr Züfle hat gesagt, er werde einen Polizeieinsatz zuvor bekanntgeben. Ich rate den Befürwortern, nicht zu laut zu jubeln. Die Bahn wird die Rechnung für das Projekt noch schicken.

Und was raten Sie den Gegnern?
Es geht uns allen heute schlecht, aber morgen geht es uns allen schon wieder besser.

Sie haben mit den "Wir reden mit"-Veranstaltungen auf dem Marktplatz eine neue Form der Beteiligung versucht. Am Ende war der Zuspruch trotz Ministerauftritten mau, Ihr Themenspektrum mit Stuttgart 21 reichlich eingeengt. Wie geht es mit "Wir reden mit" weiter?
Noch ist keine Entscheidung gefallen. Es gibt zwei Probleme. Wir müssen die Veranstaltung verändern, es darf nicht um 19.30 Uhr Schluss sein müssen. Man muss noch danach nachfragen können, und der Gast muss antworten. Und wir legen auf Dauer drauf, der Verein kann sich das eigentlich nicht noch oft leisten. Wir wollen ja keinen Eintritt verlangen.

Sind sie nach 16 Jahren des Kämpfens müde?
Ich bin enttäuscht, aber ich kenne mich gut genug. Spätestens morgen wird der alte Kampfeswillen wieder erwachen.