SPD-Chef Sigmar Gabriel (Mitte) hat sich mit Projektbefürwortern und -gegnern wie Walter Sittler (links) getroffen. Foto: dpa

Parteichef macht Volksabstimmung zur Bedingung einer möglichen Koalition nach Landtagswahl.

Stuttgart - Sigmar Gabriel kennt den Berliner Betrieb gut genug, um auch mit folgendem Politikermotto vertraut zu sein: "Do it quick and dirty." Frei übersetzt: Augen zu und durch - und zwar möglichst schnell vor der nächsten Wahl.

Ebenjene Geisteshaltung unterstellt der SPD-Vorsitzende derzeit auch der baden-württembergischen CDU-FDP-Landesregierung. Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) könne es gar nicht schnell genug gehen, Stuttgart 21 wirklich unumkehrbar zu machen, kritisierte Gabriel am Montag nach einer Präsidiumssitzung seiner Partei in Stuttgart. Die SPD will damit Schluss machen und für einen "neuen demokratischen Impuls eintreten", wie Gabriel betonte.

Mit konkreten Vorschlägen konnte das Präsidium allerdings noch nicht dienen. Etwas vage formulierte der 51-Jährige die "Aufnahme stärkerer plebiszitärer Elemente ins Grundgesetz und in die Landesverfassungen". Als ein Beispiel für Baden-Württemberg nannte er das hohe Quorum von 33 Prozent für einen Volksentscheid. Dieses gehöre dingend abgesenkt.

"Die politische Verantwortung liegt bei der Landesregierun"

Bis Ende des Jahres will die SPD einen Antrag zur Verfassungsänderung einreichen. "Wir können uns es schlicht nicht leisten, dass die Kluft zwischen Politik und Bürgern immer größer wird", sagte Gabriel. Mappus forderte er auf, sich nicht länger einer Abstimmung durch das Volk, in welcher Form auch immer, zu verwehren. Wenigstens eine Volksbefragung mit verbindlichem Charakter müsse möglich sein, meinte der SPD-Chef: "Eine Landesregierung wird ja wohl noch seine Bevölkerung fragen dürfen!" Gabriel appellierte in dem Zusammenhang auch an die Grünen, ihre ablehnende Haltung zu überdenken.

Hintergrund: Zwei von der Landesregierung in Auftrag gegebene Gutachten erteilten einem möglichen Volksentscheid vergangene Woche eine Absage. Als Grund wurde angegeben, dass nicht das Land, sondern der Bund für den Bau neuer Bahnstrecken zuständig sei. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags vertritt hingegen die Ansicht, dass das Projekt nicht Teil des Bedarfsplanes des Bundes, ein Volksentscheid auf Landesebene somit möglich sei.

Die SPD-Führung sieht den Konflikt um das umstrittene Milliardenprojekt geeignet, eine neue politische Kultur in Deutschland einzuleiten - im Falles eines Volksentscheids. Sonst laufe sich vielleicht irgendwann der Protest gegen den neuen Bahnhof tot, meinte Gabriel - "aber am Ende auch die demokratische Beteiligung". Schauspieler Walter Sittler, der ebenfalls an der SPD-Präsidiumssitzung teilgenommenen hatte, sprach davon, dass das Vertrauen der Bürger derzeit in alle politischen Parteien in Baden-Württemberg erschüttert sei.

Wie in der Frage über das Projekt als solches, dem Gabriel die nationale Bedeutung absprach ("Ein regionales Verkehrsprojekt, nicht weniger, aber auch nicht mehr"), sind die Genossen auch beim Thema Plebiszit gespalten. Im Stuttgarter Gemeinderat findet sich jedenfalls keine Mehrheit für den Weg der direkten Demokratie, und auch Ulms Oberbürgermeister Ivo Gönner glaubt nicht daran, dass sich seine Partei damit mehr Glaubwürdigkeit verschaffen kann.

Wenigstens in einem anderen Punkt herrscht Einigkeit bei den Genossen: Einem Untersuchungsausschuss zum Polizeieinsatz bei den Baumfällarbeiten, wie ihn die Grünen wollen, lehnt die SPD-Führung ab. "Die politische Verantwortung liegt bei der Landesregierung - dazu brauchen wir keinen Untersuchungsausschuss", meint Landeschef Nils Schmid. Für einen Untersuchungsausschusses sind die Stimmen von einem Viertel der Landtagsabgeordneten oder von zwei Fraktionen notwendig - die Grünen sind also auf die SPD angewiesen.