Lisa Sperling und Florian Kläger Foto: Promo

Der Dokumentarfilm "S 21 – denk mal!" feiert Premiere auf der Berlinale. Ein Gespräch.

Berlin - Der Dokumentarfilm „S 21 – denk mal!“ von Lisa Sperling und Florian Kläger feiert Premiere auf der Berlinale. Wir haben uns mit den beiden Machern Lisa Sperling und Florian Kläger unterhalten.

Frau Sperling, Herr Kläger, was war der Anstoß dafür, diesen Film zu machen?

Kläger: Wir wollten Film studieren und haben den Produzenten Peter Rommel um Rat gefragt, der mit Lisas Eltern befreundet ist. Er hat gesagt: macht einen Film - Stuttgart 21 liegt vor der Haustür, geht doch mal hin.

Sperling: Er hat uns sehr ermutigt, aber es war ein Kampf. Als wir im Januar 2010 angefangen haben, hatten wir kein Geld und kein Material, wir waren an keiner Hochschule, die uns hätte unterstützen können. Wir haben uns Kameras ausgeliehen von Freunden oder im Jugendhaus - und wir hatten keine Ahnung, was daraus wird.

Nun ist etwas daraus geworden - wie würden Sie das Wesen Ihres Films beschreiben?

Sperling: Er ist keine Dokumentation, die etwas erklärt, wir können ja nicht behaupten, dass wir alle Fakten kennen.

Kläger: Das Thema ist wahnsinnig komplex und in seinen Details kaum zu erfassen.

Sperling: Wir wollen das Gefühl beschreiben, das da geherrscht hat. Wir lassen die Menschen reden, um den Zuschauern die Möglichkeit zu geben, sie kennenzulernen und zu verstehen, was sie bewegt. Da kämpfen Menschen gemeinsam für etwas, die normalerweise wahrscheinlich nie etwas miteinander zu tun gehabt hätten.

Hatten Sie denn eine Meinung?

Sperling: Vor 15 Jahren, als das Projekt angefangen wurde, waren wir viel zu jung. Wir sind da eher unbefangen reingegangen. Und dann sind uns Dinge aufgefallen - vor allem, wie die Politiker mit den Bürgern umgehen.

Kläger: Im Januar 2010 waren rund 1000 Leute bei den Montagsdemos; und es war unglaublich, wie das angewachsen ist, wie immer mehr Leute das Gefühl hatten, übergangen und für dumm verkauft zu werden. Und wie positiv die Stimmung dabei war. Wir haben es als extrem empfunden, wie die Politik darauf reagiert hat.

Sie befragen einen Bankvorstand a. D., der den Umgang mit Steuermitteln rügt - wie haben Sie Ihre Gesprächspartner ausgesucht?

Sperling: Meine Mutter hat ihn in der Zeitung entdeckt. Das blinde Ehepaar haben wir Ende Februar 2010 bei einer Demo getroffen. Die wollten dann Dietrich Wagner kennenlernen, der am 30. September vom Wasserwerfer getroffen wurde und erblindet ist. Alles hat sich irgendwie ergeben. Im November kam dann Joe Bauer dazu.

Kläger: Das Interview mit Volker Lösch haben wir erst Anfang Januar gedreht.

30. September: "Jeder soll sich selbst ein Bild machen"

Wie haben Sie den 30. September 2010 erlebt, als die Polizei den Schlossgarten gewaltsam geräumt hat?

Kläger: Wir waren den ganzen Tag da - es war grotesk. Ich hätte so etwas nicht für möglich gehalten. Wir wollen das nun möglichst wenig manipulativ zeigen, deswegen ist die Sequenz relativ lang und strikt chronologisch geschnitten.

Sperling: Wir wollten nur eigene Bilder verwenden, obwohl wir nicht so nah herankonnten, weil die Kamera geliehen war und nicht beschädigt werden durfte. Aber ich glaube, man sieht trotzdem, was abgelaufen ist.

Kläger: Wir wollen nicht die härtesten Szenen zeigen, sondern wie das eskaliert. Jeder soll sich selbst ein Bild machen.

Hat die Politik die Macht der Bilder unterschätzt?

Kläger: Sie hinkt medial hinterher, versteht nicht, dass das in Echtzeit ins Netz geht, wenn Polizisten Demonstranten gezielt Pfefferspray in die Augen sprühen. Sie behaupten, Chaoten hätten Pflastersteine geworfen, wenn im Internet zu sehen ist, dass es Schüler waren und Kastanien.

Sperling: Als Innenminister Rech abends im "heute journal" war, wussten die Bürger, dass das Unsinn ist, was er erzählt - dass Eltern ihre Kinder instrumentalisiert hätten!

Sie zeigen das und auch anderes Fremdmaterial - war das schwer zu bekommen?

Sperling: Das war kein Problem, das ZDF war sehr kooperativ. Den Abriss des Nordflügels haben wir von Fluegel.tv, die Volksfestszene mit OB Schuster vom SWR.

Wie haben Sie das Material strukturiert?

Kläger: Unser Cutter Lars Pienkoß hat das Material in sehr kurzer Zeit sortiert und uns Vorschläge gemacht.

Sperling: Er ist Berliner und hat Distanz zur Thematik, er konnte uns also Hinweise geben, wo ihm etwas fehlt, wo etwas genauer erklärt werden muss.

Nun sind sie die jüngsten Regisseure der Berlinale 2011 - wie fühlt sich das an?

Sperling: Das ist uns noch gar nicht so bewusst, wir waren ja im Schneideraum. Wir finden wichtig, dass der Film außerhalb Stuttgarts ein Forum bekommt, damit klar wird, dass es nicht nur um den Bahnhof geht, sondern um Bürgerbeteiligung, Dialog und mehr Miteinander.