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Über 400 Zuschauer sahen am Mittwoch die Premiere des Stuttgart-21-Films "Oba bleiba".

Stuttgart - "Was sind das für Rentner und Hausfrauen im Landtag, die sich vor ihre Fenster ein Stück Berliner Mauer stellen und dann den Demonstranten in ihrer eigenen Stadt zuschauen?" Es ist der Fotograf und Filmemacher Václav Reischl, der sich diese Frage stellt. Ein Jahr lang war der emigrierte Tscheche mit der Handkamera an den Schauplätzen des Stuttgarter Bürgerprotestes gegen Stuttgart 21 unterwegs.

In unzähligen Gesprächen befragte er Passanten und Demonstrierende, dokumentierte den Abriss des Nordflügels des Bonartz-Bahnhofes, provozierende Aktionisten und polizeiliche Gewalt bei der Jugenddemonstrantion am so genannten "Schwarzen Donnerstag". In seinem 90-Minuten-Streifen ist Platz für Spott und Humor, Fantasie und Nachdenklichkeit. Als didaktische Klammer fungiert ein Interview mit dem früheren Daimler-Vorstand Edzard Reuter.

Sehr dezidiert spricht Reuter über Politikverdrossenheit und Demokratieverständis: "Man steht in der Pflicht, seine Sorgen zu sagen" und "Das Volk erträgt die bittere Wahrheit besser als Heuchelei". Václav Reischl gibt Einblicke in bürgerliche Wohnzimmer. Dort spielen Musiker gegen Stuttgart 21 an und einst überzeugte CDU-Wähler sprechen über Motive ihres Bewusstseinswandels. Jugendliche, fast Kinder noch, denen der Schock über die Polizeiaktion am 30. September 2010 im Gesicht geschrieben ist, sagen vor der Kamera: "So bringt man uns Demokratie bei".

Über 400 Zuschauer drängten am Mittwochabend zu gleich zwei Premierenvorstellungen im Arthaus-Kino "Delphi". Verbale Entgleisungen von Politikern (so nannte OB-Schuster die Gäste des Wasens "eine Volksbewegung") wurden belacht, hoch emotionale Momente wie die Baumfällaktion im Schlossgarten mit Stille bedacht, die One-Man-Aktion des Filmemachers mit herzlichem Beifall belohnt. Formell hat die Dokumentation einige Schwächen. Zu viele Zeitraffer, zu grelle Toneinstellungen erschweren die Rezeption. Und doch mag man Simon Erasmus von Arthaus zustimmen, der sagt: "Der Film als Dokument einer neuen Demokratiebewegung wird Deutschland verändern".

(im "Delphi" täglich 18.40 Uhr und zusätzlich Samstag/Sonntag um 14.30 Uhr zu sehen)