Aktivisten protestieren am 15. Februar 2012 gegen die Polizeiräumung im Schlossgarten. Foto: STN

Zwei Gegnerinnen des Bahnprojekts Stuttgart 21 dürfen sich bestätigt fühlen: Ihre beiden Aktionen gegen die Polizeiräumung am und im Schlossgarten im Jahr 2012 sind keine Straftaten gewesen.

Stuttgart - Zwei Gegnerinnen des Bahnprojekts Stuttgart 21 dürfen sich bestätigt fühlen: Ihre beiden Aktionen gegen die Polizeiräumung am und im Schlossgarten im Jahr 2012 sind keine Straftat gewesen. Die 51 und 49 Jahre alten Aktivistinnen hatten sich zweimal mit Fahrradschlössern am Hals angekettet. Eine Berufungskammer des Landgerichts wertete am Freitag die Taten als Ordnungswidrigkeit – und kassierte damit ein Urteil des Amtsgerichts, das beide wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu Geldstrafen von 30 beziehungsweise 40 Tagessätzen verdonnert hatte.

Zwei Prozesstage war es bei der 41. Berufskammer des Landgerichts um „die Seele Stuttgarts“, um das „Nullum der Volksabstimmung“, um Korruption bei Bahn und Politik, um „massives staatliches Unrecht“, um „Verschlechterungen der Schieneninfrastruktur“ gegangen. Deshalb hatten sich zwei Stuttgarterinnen am 13. Januar und 15. Februar 2012 mit Bügelschlössern festgekettet, als für den Abriss des Südflügels und die Fällung von Schlossgarten-Bäumen ein Großaufgebot an Polizei aufmarschierte.

In der Berufungsverhandlung ging es für den Vorsitzenden Richter Rainer Gless aber „nicht um die Sinnhaftigkeit von Stuttgart 21, sondern um die rein rechtliche Würdigung der Aktion“. Das Urteil des Schöffengerichts „ist eine Einzelfallentscheidung und kann nicht verallgemeinert werden“.

Das Bügelschloss am Hals – etwas für juristische Feinschmecker. Der Staatsanwalt wertete die Tatsache, dass die Frauen erst mit Hilfe von Hydraulikschere und Trennschleifer vom Platz gebracht werden konnten, als strafbaren Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Er forderte für beide Taten Geldstrafen zu 50 Tagessätzen. Die Verteidiger wollten dagegen Freispruch: Es habe sich nur um eine „körperliche spektakuläre Meinungsäußerung“ gehandelt.

Richter Gless kassierte die Auffassung des Staatsanwalts. Um Widerstand geleistet zu haben, hätten nach höchstrichterlicher Rechtsprechung Beschuldigter und Vollzugsbeamter in unmittelbarem Kontakt stehen müssen. „Die zeitliche und räumliche Nähe können wir aber nicht erkennen“, so Gless. Die Frauen hätten sich lange vor dem Polizeieinsatz festgekettet, Stunden vor der Begegnung mit dem technischen Trupp, der zum Zeitpunkt des Schlosseinrastens noch ganz woanders gewesen sei. Der Vorwurf des Widerstands nach Paragraf 113 Strafgesetzbuch scheide also aus, so Gless.

Also: Nötigung? Der Richter stellte klar, dass die Frauen zwar friedfertig gewesen seien, im juristischen Sinne aber Gewalt ausgeübt haben. Laut Bundesverfassungsgericht gilt es als Gewalt, wenn bei einer Blockade zur reinen körperlichen Anwesenheit eine „physische Barriere“ hinzukommt. „Und das war mit den Fahrradschlössern der Fall“, so Gless. Jedoch sei das noch nicht automatisch strafbar. Paragraf 240 sieht für eine Nötigung vor, dass der Beschuldigte für seinen Zweck „verwerflich“ gehandelt hat. Und das sieht der Richter nicht so: „Hätte die Angeklagten in Selbstjustiz eine konkrete Baumfällung verhindern wollen, wäre das verwerflich gewesen“, so Gless. Da der Hauptzweck aber gewesen sei, „Aufmerksamkeit in der öffentlichen Wahrnehmung zu erregen“ und die Aktion in „engem, sachlichem Zusammenhang“ gestanden habe, gebe es keine Verwerflichkeit. Und damit keine strafbare Handlung.

Für Richter Gless blieb so nur noch der Verstoß gegen das Versammlungsgesetz – eine Ordnungswidrigkeit. Die Frauen hatten sich trotz Aufforderung nicht von einer unerlaubten Ansammlung entfernt. Die Kammer verhängte hierfür ein Bußgeld von 150 beziehungsweise 200 Euro.