Bahn-Vorstand Kefer sieht Projekt im Zeit- und Kostenrahmen – Keine Festlegung zu Filder-Plänen.
Stuttgart - Stuttgart 21 und die weitere Strecke nach Ulm sollen zeitgleich Ende 2020 in Betrieb gehen. Mit den Vergaben für 30 Kilometer Tunnel in Stuttgart habe man große Sicherheit bei den Kosten erreicht, sagt Bahn-Vorstand Volker Kefer am Montagabend.
Kaum hat man sich begrüßt, kommen die vier Herren auf der Bühne zur Sache. Zwei Turmfalken brüten auf der Alten Bahndirektion und verhindern deren Abriss. Auch beim Juchtenkäfer und den Fledermäusen sah die Bahn nicht gut aus. „Haben Sie den Naturschutz nicht im Griff“, will Jörg Hamann, Leiter der Lokal- und Regionalredaktion, wissen. „Nein“, kontert Volker Kefer, Technik- und Infrastrukturvorstand der Deutschen Bahn AG. Von Pleiten, Pech und Pannen könne keine Rede sein. „Wir lösen Probleme in der Reihenfolge, in der sie auftreten – wie beim Knödelessen, einen nach dem andern“, erklärt Kefer, ganz Bayer.
Wo liegen die Risiken beim Tunnelbau?
Es ist ein munterer Schlagabtausch, mit dem das Forum Stuttgart 21 startet. Rund 300 Besucher folgen der Podiumsdiskussion unserer Zeitung, die am Montagabend erstmals in der neuen Stuttgarter Stadtbibliothek stattfindet.
Auch Walter Wittke, der zweite Gast des Abends, ist schlagfertig. Nur macht der 78-jährige Rheinländer seine Punkte subtiler als der 56-jährige Kefer, eher im Nebensatz. „Worauf kommt es beim Tunnelbau an, worin liegen die größten Risiken?“, möchte Nikolai Forstbauer, Leiter der Kulturredaktion, von Wittke erfahren. „Kosten- und Zeitüberschreitungen gehen meist auf eine unzureichende Einschätzung des Baugrunds zurück“, erklärt der renommierte Experte für Geologie und Tunnelbau, und ergänzt trocken: „Davon müssen wir hier wohl nicht ausgehen.“ Wittke hat die Grundlagen für den Tunnelbau bei Stuttgart 21 geliefert.
Das Publikum freut sich über die klaren Aussagen, manchmal gibt es sogar Szenenapplaus. Andere Besucher machen deutlich, dass sie das Bahnprojekt kritisch sehen oder gar rundweg ablehnen. Zwei Frauen halten ein Plakat gegen Stuttgart 21 in die Höhe. Es stört den Abend nicht.
Stuttgart 21 ist knapp kalkuliert
Laut einem Pressebericht der letzten Tage geht die Bahn intern davon aus, dass die parallel zu S 21 im Bau befindliche ICE-Neubaustrecke Wendlingen-Ulm ein Jahr später als geplant, also erst Ende 2021, fertig wird. „Stimmt das?“, fragt Forstbauer. „Nein“, sagt Kefer. Der Bericht sei nicht zutreffend, da der Sachstand überholt sei. „Wir können es 2020 schaffen, bei der Strecke wie bei Stuttgart 21“, betont er. Eine zeitversetzte Fertigstellung der Projektteile sei auch „bahntechnisch nicht sinnvoll“.
Doch Stuttgart 21 ist knapp kalkuliert. Das gilt nicht nur für die Termine, sondern erst recht für die Kosten. 390 Millionen Euro beträgt der Puffer für Inflation und Unvorhergesehenes derzeit, nach rund 50 Prozent der Vergaben. „Da ist ein großer Schritt geschafft“, sagt Kefer. Außerdem sei er „sehr froh“, dass bei den Tunneln und dem Bahnhofsrohbau auch Stuttgarter Firmen zum Zug gekommen sind.
Stuttgart 21 soll maximal 4,526 Milliarden Euro kosten
Stuttgart 21 soll maximal 4,526 Milliarden Euro kosten. „Wir sind mit der Landesregierung einig, den Kostenrahmen zu halten“, so Kefer. „Für Zusatzwünsche gibt es entweder eine neue Finanzierungsvereinbarung – oder wir müssen anderswo Kosten senken.“ Die zusätzliche Signaltechnik für die S-Bahn, in der Schlichtung 2010 vereinbart, ginge zum Beispiel „über die geltenden Verträge hinaus“.
Gar nicht äußern will sich Kefer zum kommenden Filderdialog, also zur Frage, auf welchem Weg die Züge von der Gäubahn den Flughafen erreichen sollen. Klar sei jedenfalls, dass sich Bahn und Land vier Wochen Zeit nähmen, um die Vorschläge zu erörtern. Das könne dann zu weniger Einsprüchen bei der eigentlichen Planfeststellung führen, so Kefers Hoffnung. Er frage sich aber, „was wir machen, wenn eine Lösung politisch gewollt, aber teurer ist.“ Die Frage geht wohl an Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann und dessen Koalitionspartner.
Sparen will die Bahn beim Abtransport
Mögliche Einsparungen sieht Kefer zum Beispiel beim Abtransport der rund 20 Millionen Tonnen Erd- und Gesteinsaushub oder bei einer besseren Zusammenarbeit mit der Bauwirtschaft. Die Bahn setze Anreize. „Wenn wir günstiger werden, teilen wir uns den Ertrag“, so Kefer.
Wenn die Baustelle richtig läuft, soll sie auch besser sichtbar werden. Die seit Jahren bestehende Ausstellung im Bahnhofsturm werde umgestaltet, über zusätzliche Anlaufpunkte und Schaustellen sei man aber „noch nicht ganz durch mit der Diskussion“, hält sich Kefer auf die Frage von Forstbauer zurück. Bei Detailfragen zum Tunnelbau lässt Kefer dem emeritierten, in Hamburg geborenen Professor Walter Wittke den Vortritt.
„Man muss die Schwierigkeiten des Gipskeupers nicht verschweigen“, sagt Wittke. Dramatisieren will er sie als Wissenschaftler aber keinesfalls, das täten schon andere, und zwar „auf oberflächlicher Grundlage“. Das ärgert den mehrfach ausgezeichneten Ingenieur, schließlich seien alle Erkenntnisse zur Quellproblematik publiziert.
Zum Anhydrit darf kein Wasser
Wenn im Fildertunnel Wasser in den Anhydrit fließen sollte, quelle der auf wie ein Hefekuchen. „60 Prozent mehr Volumen sind eine ganze Menge“, sagt Wittke, und zeigt die Grenzen des Ingenieurbaus auf: „Sie können keine Betonschale bauen, die diesen Druck aushält.“ Also darf zum Anhydrit schlicht kein Wasser. Eine doppelte Abdichtung, „Gürtel und Hosenträger“, samt Kontrolldrainage seien die „solide Grundlage für den Entwurf“, vertraut Wittke auf das Hirnschmalz seiner Zunft.
Auch die Eigentümer von Häusern und Wohnungen, die zum Beispiel dem Fildertunnel nahe sind, weiß Wittke zu beruhigen. Bei 20 Metern Tunnelspannweite und nur acht Metern Erdüberdeckung komme es zwar zu Senkungen, geschehe diese bei einem Haus aber gleichmäßig, „dann passiert gar nichts“, sagt der 78-Jährige. Um die Senkungen auszugleichen und den wenig standfesten Hang am Beginn des Fildertunnels zu sichern, werde über Injektionsrohre zunächst eine stabilisierende Suspension unter der Bebauung verteilt. „Das ist eine schwierige Ecke dort“, sagt Wittke. Senke sich der Untergrund, können weiter Beton ins Erdreich gepumpt werden. Das Verfahren hat das Experimentierstadium längst verlassen. „Wir haben es beim Stadtbahnbau der U 15 hier auch gemacht“, beruhigt Wittke.