Laut Stuttgart-21-Gegnern lehnen die meisten Bürger das Projekt ab. Stimmt das?

Stuttgart - Das Bündnis der Stuttgart-21-Gegner behauptet, dass der "weit überwiegende Teil" der Bürger das Bahnprojekt ablehnt. Beweise dafür gibt es allerdings nicht. Repräsentative Umfragen ergeben nämlich ein differenzierteres Bild.

Für die Gegner gibt es keinen Zweifel: "Bei diesem Prestigeprojekt bleibt der Bürgerwille auf der Strecke", heißt es auf der offiziellen Homepage des Aktionsbündnises gegen Stuttgart21. Zur Begründung heißt es: "Der weit überwiegende Teil der Stuttgarter Bevölkerung lehnt das Projekt Stuttgart21 ab."

Diese Ansicht vertritt nicht nur das Bündnis von Grünen, BUND, VCD, Pro Bahn und der Initiative "Leben in Stuttgart - Kein Stuttgart21". Auch bei vielen Demonstrationen gegen das Projekt heißt es, dass eine enorme Mehrheit der Bevölkerung das Projekt ablehne und deshalb ein Bürgerentscheid stattfinden müsse. Der Haken ist nur: Es gibt keine repräsentative Umfrage, die eine solche breite Nein-Stimmung ergeben hat. Das zeigt ein Rückblick auf die Umfragen der letzte Jahre. Fehlende Prozentangaben zu 100 bedeuten, dass mit "keine Angabe" oder "teils/teils" geantwortet wurde.

Bürgerumfrage 1995: Das Statistische Amt der Stadt Stuttgart startet die erste repräsentative Umfrage zum Projekt. Die Frage heißt: Was halten Sie von Stuttgart21? Das Ergebnis: 51 Prozent der 2200 Stuttgarter Bürger, die geantwortet haben, finden das Projekt "sehr gut" oder "gut" - 30 Prozent finden es "schlecht" oder "sehr schlecht".

Emnid-Umfrage 2007: Im Auftrag des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Baden-Württemberg macht das Emnid-Institut eine repräsentative Telefonumfrage mit 1001 Bürgern aus dem ganzen Land. Die Frage: Befürworten Sie das Projekt Stuttgart21, das für drei Milliarden Euro die Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs vorsieht? Das Ergebnis: 58 Prozent antworten mit "Nein" - 31 Prozent mit "Ja".

Emnid-Umfrage 2008: Zweite Auflage der repräsentativen Umfrage für den BUND. Die Telefonfrage an 1001 Bürger aus Baden-Württemberg: Befürworten Sie das Projekt Stuttgart21? Ergebnis: 48 Prozent antworten mit "Nein" - 35 Prozent mit "Ja".

Zweifel an der Stimmabgabe

Online-Umfrage 2008: Die "Stuttgarter Nachrichten" lassen im Internet abstimmen. Ergebnis: 64 Prozent der Teilnehmer lehnen Stuttgart21 ab. Doch diese Art von Umfrage ist nicht repräsentativ. Zudem kommen Zweifel an der Stimmabgabe auf. Externe EDV-Experten bestätigen, dass die Umfrage stark manipuliert wurde: Viele Stimmen sind doppelt abgegeben; einzelne Teilnehmer klicken 100- oder 200-mal das Feld "Projekt stoppen" an; ein Manipulator drückt sogar 936-mal auf Stopp. Das fragwürdige Ergebnis wird auf der Homepage des Aktionsbündnisses dennoch als Beleg für die Ablehnung der Bürger angeführt.

Bürgerumfrage 2009: Die bisher letzte repräsentative Umfrage der Stadt Stuttgart. Die Frage: Wie ist Ihre persönliche Meinung zu Stuttgart21? Das Ergebnis: 29 Prozent der Bürger haben eine "sehr gute" oder "gute" Meinung - 47 Prozent haben eine "schlechte" oder "sehr schlechte" Meinung.

Emnid-Umfrage 2009: Dritte repräsentative landesweite Telefonumfrage für den BUND unter 1001 Bürgern. Die Kernfrage: Soll das Land Baden-Württemberg aus der Mitfinanzierung aussteigen, wenn die Baukosten, die noch vor einem Jahr auf etwas drei Milliarden Euro geschätzt wurden, auf über vier Milliarden ansteigen? Ergebnis: 58 Prozent der Befragten antworten mit "Ja" - 38 Prozent mit einem "Nein".

Aus keiner Umfrage lässt sich die vom Aktionsbündnis skizzierte breite Mehrheit gegen Stuttgart21 ablesen. Doch das irritiert Gerhard Pfeifer nicht. Der Regionalgeschäftsführer des BUND sieht in den Umfragen und vielen ablehnenden Reaktionen in der Bevölkerung einen "eindeutigen Trend" gegen das Projekt. "Ich behaupte, dass heute 70 Prozent der Bürger Stuttgart21 ablehnen", sagt Pfeifer. Dass diverse Medien vergleichbare Werte schon als harte Fakten präsentieren, dürfte Pfeifer nur recht sein.