Mitteilung der Röhre-Betreiber an ihre Gäste Foto: Screenshot

Stuttgart kommt ein wichtiger Konzertsaal abhanden: Am 15. Januar ist für den Rockclub Schluss.

Stuttgart - Wenn die Röhre Mitte Januar schließt, verliert Stuttgart eine Bühne, auf der große Rock- und Popbands ihre ersten Auftritte absolviert haben, ehe sie den Sprung in die großen Hallen schafften. Ein Ersatz ist nicht in Sicht. Hinter den Kulissen schieben sich die Beteiligten gegenseitig den Schwarzen Peter zu.

Jan Drusche ist wütend. „Was die Stadt behauptet, ist gelogen, das sage ich ganz offen“, sagt er. Drusche ist einer der drei Betreiber des Stuttgarter Clubs Die Röhre. Im Zuge der Planungen für das Verkehrs- und Städtebauprojekt Stuttgart 21 wurde klar, dass der Veranstaltungsort in der Nordröhre des Wagenburgtunnels früher oder später würde weichen müssen. „Das ist ja okay, weil wir nur Mieter sind“, sagt Mitbetreiber Peter Reinhardt. „Aber die Art und Weise, wie es abgelaufen ist, ist einfach enttäuschend.“

Bis Sommer 2012 sind in der Röhre 30 Konzerte geplant, die jetzt verschoben werden oder ausfallen müssen. „Wir haben mindestens ein halbes Jahr Vorlauf“, sagt Reinhardt. „Hätten wir nicht geplant, und es wäre weitergegangen, hätten wir unseren Betrieb nicht aufrechterhalten können.“

Nirvana und Greenday waren schon in der Röhre

Betroffen von den Konzertabsagen sind vor allem die Veranstalter. „Es ist immer schwieriger, Räumlichkeiten in der Innenstadt zu finden“, sagt Paul Woog vom Konzertveranstalter SKS Michael Russ. „Das Theaterhaus und die Liederhalle sind über Jahre hinweg ausgebucht.“ Eine Größenordnung wie die der Röhre sei wichtig in einer Stadt wie Stuttgart. Der Club ist bekannt dafür, als Sprungbrett für Bands zu dienen: Spätere Rockgrößen wie Nirvana, Die Ärzte und Greenday haben auf ihren ersten Tourneen in der Röhre gespielt. „Es ist schade, mit wie wenig Engagement die Stadt da zu Werke geht“, sagt Woog. „Wenn es so weitergeht, wird Stuttgart bald auf den Landkarten der Touren noch unbekannter Bands fehlen.“

Was Peter Reinhardt vor allem stört: Die Bahn benötigt nicht die Röhre selbst, sie will lediglich den Bereich vor dem Club als Baustelleneinrichtungsfläche nutzen. Der Notausgang des Wagenburgtunnels, der zwischen Club und Straßentunnel liegt, muss ohnehin frei gehalten und zu einem Fluchtweg geführt werden. Zwischen dem Eingang der Röhre und dem Notausgang liegen knapp fünf Meter. „Wenn die Bahn nur diesen Bereich freilassen würde, könnten wir unseren Betrieb mindestens bis zum Sommer aufrechterhalten und müssten keine Konzerte streichen“, sagt Drusche. „Aus sicherheits- und haftungsrechtlichen Gründen ist das nicht möglich“, entgegnet Markus Vogt als Sprecher der Stadt. „Die Baufläche der Bahn kann auch nicht beliebig für den Zugang hergerichtet werden.“

Am 15. Januar ist Schluss

Rückblick: Am 1. Oktober 2010 flattert den Betreibern der Röhre die Kündigung zum 31. Dezember schriftlich ins Haus. „Sie war aber unwirksam, weil sie einen Tag zu spät bei uns eingetroffen ist“, erinnert sich Peter Reinhardt. Deshalb verlängerte sich die Frist um weitere drei Monate auf den 31. März 2011. „Die Stadt hat damals von einer versehentlichen Kündigung gesprochen“, sagt Reinhardt. „Da frage ich mich, was das heißen soll.“ Beim Amt für Liegenschaften war die Auskunft seinerzeit, die Kündigung sei auf der unteren Ebene verschickt worden, ohne die Amtsleitung zu informieren. Im März 2011 haben sich Vertreter der Stadt und die Röhre-Betreiber zusammengesetzt und eine weitere Fristverlängerung vereinbart. Im Sommer wollte die Stadt auf die Bahn zugehen, um zu fragen, wie weit die aktuellen Bauplanungen fortgeschritten sind. Mit einer verbindlichen Aussage der Bahn sei es vielleicht möglich, den Vertrag der Röhre über den 15. Januar hinaus zu verlängern, sagte Stuttgarts Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann im März.

Neue Räume für die Röhre - nicht einfach

Im Mietvertrag wurde das aber nicht festgehalten. „Eine Verlängerung über den 15. Januar ist im Vertrag nicht vorgesehen“, sagt Markus Vogt. Zudem führe man seit eineinhalb Jahren Gespräche und kümmere sich intensiv um die Zukunft der Röhre. „Wir hatten nicht den Eindruck, dass die Verantwortlichen der Discothek bei der Suche nach alternativen Standorten mit gleicher Intensität unterwegs sind wie wir“, sagt Vogt. Neue Räume zu finden sei nicht leicht: „Der Markt für stillgelegte Tunnelröhren ist relativ überschaubar“. Bei anderen Räumen seien Größe, Sicherheit, Innenstadtnähe und Lärmschutz unter einen Hut zu bringen. „Wir haben die Betreiber aufgefordert, uns auch aus ihrer Sicht Möglichkeiten zu nennen“, sagt Vogt hierzu. „Es gab keine Rückmeldung.“

Röhre-Macher: Stadt bietet keine Alternativen

Die Röhre-Macher hingegen fühlen sich von der Stadt im Stich gelassen. „Sie haben uns nur Alibi-Alternativen geboten“, sagt Reinhardt. Das Ambo-Kino sei schon vorher von dessen Betreiber als möglicher Ausweichort ausgeschlossen worden. Das ehemalige Depot im Stuttgarter Osten liege zu zentral in einem Wohngebiet. Außer diesen zwei Angeboten habe die Stadt sich entgegen ihrer Ankündigung nicht mehr bei der Röhre gemeldet. „Es wurde August, September, Oktober, und nichts ist passiert“, sagt Reinhardt. Am 7. November habe er sich deshalb beim Liegenschaftsamt gemeldet, wo ihm der zuständige Mitarbeiter einen Brief gezeigt habe, der in der Vorwoche beim Amt angekommen sei. Darin teilte die Bahn mit, dass sie die Fläche vor der Röhre vom 15. Januar an beanspruche. „Da ist mir erst einmal das Gesicht runtergeklappt“, sagt Reinhardt.

„Wir haben den Betreibern spätestens Ende Oktober Bescheid gegeben“, wehrt sich Stadt-Sprecher Vogt. Bürgermeisterin Eisenmann selbst schrieb den Betreibern dagegen in einem Brief im Dezember, sie seien Anfang November benachrichtigt worden. In einem Artikel im „Stuttgarter Wochenblatt“ vom 24. November heißt es wiederum, die Bürgermeisterin könne sich vorstellen, dass der Pachtvertrag über den 15. Januar hinaus verlängert werde, ein konkretes Signal der Bahn habe sie aber noch nicht vernommen.

Die Röhre-Betreiber fühlen sich angesichts solcher Widersprüche übers Ohr gehauen. „Die haben uns vergessen und versuchen jetzt, das herunterzuspielen.“ Im Rathaus sieht man das anders: „Wir werden den Eindruck nicht los, dass bei den Betreibern ein Interesse daran bestehen könnte, eigene Versäumnisse der Stadt zuzuschreiben“, sagt Vogt.

Eines ist sicher: Zielführend sind gegenseitige Schuldzuweisungen nicht. „Die Stadt muss sich nun intensiv mit den Veranstaltern und Clubs zusammensetzen“, fordert Paul Woog, „um das Problem der fehlenden Räumlichkeiten in den Griff zu bekommen.“