Feuer im Tunnel (wie hier 2001 bei einer Übung), Bahnhöfen oder Zügen sind für die Feuerwehr eine Herausforderung. Kritik der Retter am Brandschutz von Stuttgart 21 weist die Bahn aber zurück. Foto: dpa

Die Feuerwehr kritisiert Schwachstellen beim Brandschutz von Stuttgart 21. Klaus-Jürgen Bieger verteidigt das Konzept. Der Sicherheitsexperte der Bahn AG analysiert die Feuerwehrkritik Punkt für Punkt. Beim S-21-Brandschutz gebe es nichts zu verbergen, sagt er. Aus dem Tiefbahnhof könnten sich die Reisenden selbst retten.

Stuttgart – - Herr Bieger, ist der Tiefbahnhof von Stuttgart 21 sicher, falls es brennt?
Ja. Der Bahnhof wird sicher sein.
Woher nehmen Sie diese Gewissheit?
Die Deutsche Bahn betreibt schon heute über 50 unterirdische Bahnhöfe in Deutschland, die – wenn man die Größe der Anlagen und ihr Passagieraufkommen betrachtet – zum Teil mehr leisten müssen als der neue Bahnhof in Stuttgart. Acht Gleise in Tieflage? Die hat seit 2006 auch der Berliner Hauptbahnhof. Wir wissen, worauf es beim Thema Sicherheit und Brandschutz ankommt. Meinen Sie im Ernst, wir würden leichtfertig Menschenleben riskieren?
Die Stuttgarter Feuerwehr hat starke Zweifel. Zum überarbeiteten Brandschutzkonzept für Stuttgart 21, das die Bahn im März 2013 den Behörden vorlegte, hat sie eine lange Mängelliste erstellt: Die Feuerwehr kritisiert die Brandmelder im neuen Bahnhof, seine langsame Entrauchung, lange Evakuierungszeiten, lange Rettungswege . . .
Wir diskutieren über Sicherheitsmaßnahmen auf einem sehr hohen Niveau. Der neue Hauptbahnhof ist 2005 planfestgestellt, also genehmigt worden. Darin enthalten ist ein genehmigtes Brandschutzkonzept. Das sollte man der Fairness halber erwähnen. Allerdings haben sich in der Folge die Maßstäbe im Brandschutz nochmals verschärft.
Klaus-Jürgen Bieger, der Brandschutzbeauftragte der Deutschen Bahn. Foto: Leif Piechowski
Inwiefern?
In der Genehmigung von 2005 ging man in den Simulationen von 10 120 Menschen aus, die sich im Ernstfall aus dem Bahnhof retten können müssen. Heute müssen wir das für bis zu 16 164 Menschen nachweisen. Wobei man bedenken muss, dass sich in der Spitzenviertelstunde, die für die Evakuierung angenommen wird, im heutigen Hauptbahnhof nicht mehr als 6500 Menschen pro Stunde aufhalten. Auch die Stärke des Feuers, der sogenannte Bemessungsbrand, der dem Rettungskonzept zugrunde liegt, wurde von 25 Megawatt im Jahr 2005 auf heute 53 Megawatt mehr als verdoppelt. Wir erfüllen heute Anforderungen, die vor zehn Jahren unvorstellbar waren.
Wie muss man sich diesen 53-Megawatt-Brand vorstellen?
In der Tat sind die theoretischen Annahmen bei diesem Thema schwer zu vermitteln. Aber das ist nun mal unser Geschäft. Das Szenario fängt mit einem großen Koffer an, der in einem Zug abgestellt wird und Feuer fängt. Kein Passagier tut etwas, keiner greift zum Feuerlöscher, keiner löst Alarm aus. Es dauert trotzdem lange Zeit, ehe daraus ein Brand wird, der den ganzen Waggon erfasst. Realistisch ist das Szenario aber kaum: Wir haben zwar 50 bis 60 Brände pro Jahr bei der Deutschen Bahn, aber das sind in aller Regel beherrschbare technische Defekte wie eine durchgeschmorte Kaffeemaschine. Echte Brände im Zug sind europaweit die absolute Ausnahme, da es in Schienenfahrzeugen einen hohen Brandschutz nach europäischer Norm gibt.
Die Feuerwehr kritisiert, dass es zu lange dauert, ehe sich alle Menschen aus dem Bahnhof in Sicherheit gebracht haben.
Auch das muss man differenziert betrachten: In Simulationen für die Genehmigung von 2005 ergab sich für die 10 120 Menschen im Worst-Case-Szenario – also im ungünstigsten Fall – eine Evakuierungszeit von 21 Minuten. Die Verrauchung wurde seinerzeit in Modellversuchen ermittelt. Im Ergebnis ergab sich daraus eine zusätzliche Sicherheitsreserve von 19 Minuten. Im heutigen Szenario, wo sich 16 164 Menschen retten müssen und die angenommene Brandlast doppelt so hoch ist, würden wir ohne Zusatzmaßnahmen eine Evakuierungszeit von 37 Minuten erreichen. Deshalb hat sich die Bahn entschlossen, acht zusätzliche Fluchttreppenhäuser einzubauen. Damit erreichen wir – unter den deutlich schärferen Rahmenbedingungen – im Wort-Case-Szenario eine Evakuierungszeit von 23 Minuten.