An den 55 Kilometern Stuttgart-21-Tunnel wird längst an mehreren Stellen in der Landeshauptstadt gebaut. Die Bahn bittet jedoch erst an diesem Mittwoch zum offiziellen Anstich nach Wangen – von dort aus wird auch ein Teilabschnitt unter dem Neckar hindurchgegraben.
An den 55 Kilometern Stuttgart-21-Tunnel wird längst an mehreren Stellen in der Landeshauptstadt gebaut. Die Bahn bittet jedoch erst an diesem Mittwoch zum offiziellen Anstich nach Wangen – von dort aus wird auch ein Teilabschnitt unter dem Neckar hindurchgegraben.
Stuttgart - Der Anfang des großen Tunnelrings, in dem in rund zehn Jahren ICE und Regionalexpress den neuen Stuttgarter Tiefbahnhof ansteuern sollen, ist gemacht. Seit mehreren Wochen graben sich Bergleute in den Untergrund – bisher eher inoffiziell. An diesem Mittwoch bittet die Bahn zum feierlichen Anstich. Das Fest hätte am Wagenburgtunnel stattfinden sollen, wurde aber aus Platzgründen nach Wangen verlegt. Der dortige sogenannte Zwischenangriff stellt einen der neuralgischen Punkte dar: Von hier aus geht es Richtung Hauptbahnhof und unter dem Neckar hindurch nach Untertürkheim. Wangen bildet auch den Start eines Rundgangs mit der Bahn zu aktuellen Stuttgarter Tunnelbaustellen.
Zwischenangriff Wangen
So einen Überblick wünscht sich jeder Bauleiter. Der Projektchef in Wangen schaut von einem Fenster eines Bürobaus an der Ulmer Straße hinüber zum großen Schacht, wo heute der offizielle Tunnelanstich erfolgen soll. „Begonnen haben wir hier mit zehn Mann“, erinnert sich der Projektleiter. Der Wiener steht einer Arbeitsgemeinschaft aus vier Tunnelbaufirmen vor, die von hier aus vier Röhren graben. Wie die meisten seiner Kollegen möchte er seinen Namen nicht in der Zeitung lesen: Es habe zu viele Anfeindungen von S-21-Gegnern gegeben. Dabei sei er wie alle anderen gerne hier. „Bei dem langen Projekt haben die Leute für vier bis sechs Jahre einen Job.“ Die Leute, von denen er spricht, sind wie er fast alle Österreicher. Österreich ist eine Nation von Tunnelbauern. Die Familien kennen sich über Generationen. Wenn einer im Trupp ausfällt, „findet sich zu Hause zwischen Kirchgang und Frühschoppen der Ersatzmann“. Dem Bauleiter ist nach Jahrzehnten in der Branche kein Untergrund fremd. Der Schacht, von dem aus gegraben wird, ist 37 Meter tief. Das Ausheben war nur das Vorspiel zum eigentlichen Vortrieb. 800 Kubikmeter Abraum und zwei Meter Tunnel – so lauten die Eckdaten künftig für jeden Arbeitstag. Zum Vergleich: Der zweiröhrige Fildertunnel ist 9,5 Kilometer lang. Der Bauleiter freut sich „auf die Herausforderung“, auch auf das Arbeiten im quellfähigen Gipskeuper, was Projektkritiker stets als höchst heikel sehen.
Bahnhof Feuerbach
Die paar Männer in roten Warnwesten fallen kaum auf. Sie hantieren zwischen den Gleisen an Kabeln, während eine S-Bahn Richtung Ludwigsburg vorbeidonnert. Dass Stuttgart 21 am Bahnhof in Feuerbach besonders kompliziert ist, würde niemand vermuten. „Das liegt daran, dass hier unter Betrieb gebaut wird“, sagt der zuständige Projektleiter der Bahn, Ekkehard Ley. Das künftige Ferngleis muss tiefer gelegt werden, um S- und Stadtbahngleise zu unterqueren, ehe es Richtung Hauptbahnhof in den Berg geht. Dazu wird die jetzige Fernbahntrasse samt der Signaltechnik aus 3000 Adern Kupfer- oder Glasfaserkabel verlegt. Die Umsiedlung von geschützten Eidechsen war dagegen eher eine kleine Übung, „auch wenn das ein Jahr Zeit gekostet hat“.
Zwischenangriff Nord
Ekkehard Ley ist ein alter Fahrensmann. Der 63-Jährige hat fast überall auf der Welt Schienenwege gebaut, etwa in China für die dortigen Hochgeschwindigkeitszüge. „In Korea haben wir mal einen 1000 Jahre alten Baum verpflanzt.“ Ley schlendert über festgefrorenen Morast und könnte stundenlang von ähnlichen Erlebnissen berichten. Im Stuttgarter Norden nahe der Wagenhallen überwacht er einen weiteren Tunnelangriff. Ähnlich wie in Wangen geht es von einem 26 Meter tiefen ellipseförmigen Schacht aus nach Bad Cannstatt bzw. zum Hauptbahnhof. Hier entsteht auch die sogenannte Logistikfläche, über die der meiste Tunnelaushub per Schiene abtransportiert wird. Das Spannende sei, dass wegen der vielen Vorbehalte „die meisten hier doppelt und dreifach hinschauen, bevor sie loslegen“.
Tiefbahnhof
Am wenigsten Untergrund ist auf dem Baufeld des Tiefbahnhofs zu sehen. Immerhin nimmt der Fußgängersteg, der von den jetzigen Bahnsteigen zum Schlossgarten führen soll, Gestalt an. Bauleiter Ottmar Bögel von der Firma Züblin würde gerne die Grube zeigen, kann aber nur erläutern, was demnächst passiert: „In diesem Jahr werden wir erstmals die B 14 verschwenken.“ Das sei notwendig, weil für den Trog der unterirdischen Zugstation unter anderem der Stadtbahnhalt Staatsgalerie verlegt werden müsse. Skeptisch werden Laien auf eine kleine Abbildung im Plan an der Wand im Baubüro zeigen, die die Bundesbahndirektion am Kurt-Georg-Kiesinger-Platz zeigt. Dort hängt das halbe Gebäude über der Bahnhofsbaugrube. „Mitte 2014 werden wir beginnen, unter der Bahndirektion hindurchzugraben“, sagt Bögel. Ein Problem? Eher nicht, auch Gebäude dieser Größe werden häufig provisorisch abgestützt. Neidisch dürfte Bögel zum Wagenburgtunnel hinüberblicken. Die dortige Ortsbrust – jene Stelle, wo gegraben oder gesprengt wird – befindet sich schon etliche Meter im Berg.
Wagenburgtunnel
Rettungszufahrt – klingt nach Tunnelbaunebenprodukt, nicht nach großer Röhre. Die Mineure, die unterm Kerner-Viertel graben, kämpfen sich nicht mit Hacke und Spaten ins Erdreich. Was in den Plänen als Rettungszufahrt ausgewiesen ist, wird mit schwerem Gerät vorangetrieben. Hier können zwei große Lkw aneinander vorbeifahren. Viele Bewohner im Kerner-Viertel befürchten, dass ihre Häuser durch den Tunnel beschädigt werden. Danach gefragt, was die Leute beruhigen könnte, sagte der Abschnittsbauleiter, ein Österreicher: „Da geht nix schief, wir sind eine Spezialfirma.“ Dann setzt der Spezialbohrer an. Der Rettungsstollen führt in den Fildertunnel, der von Frühjahr 2014 an gegraben werden soll.