Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) liebäugelt damit, die Bahnpläne am Flughafen mit einem dritten Gleis bei der S-Bahn-Station zu verbessern. Er will aber nicht hinnehmen, dass man immer nur über Stuttgart 21 und die Finanzierung des Projekts nachdenken soll.
Stuttgart – Herr Hermann, der geistige Vater des Projekts S 21, Prof. Heimerl, nannte die Bahn-Pläne für den Flughafen „nicht zukunftsfähig“. Auch Regionalpräsident Bopp und OB Kuhn fordern Nachbesserung – Sie auch?
Dass die Pläne dort verbesserungsbedürftig sind, sehe ich schon lange so. Als beim Filderdialog diese Idee des Filderbahnhofes plus aufkam, fand ich das durchaus attraktiv. Allerdings gab es auch einige Einwände und Probleme, die bislang verhindert haben, dass die Bahn diese Idee übernahm.
Bleibt es also am Ende womöglich bei der Antragstrasse?
Wir führen jetzt Gespräche, weil wir hoffen, dass wir eine bessere Lösung finden. Am Freitag sind wir auf Einladung der Bahn in Berlin. Wir werden nicht blauäugig mit einem Wunschkatalog in den Prozess gehen. Wir werden gut vorbereitet und offen über die Vor- und Nachteile der Varianten reden.
Viel Gesprächsstoff. Zu viel?
Wir haben im Haus mal auflisten lassen, was seit Beginn des Filderdialogs als Verbesserungen vorgeschlagen wurde. Man kam auf ein rundes Dutzend Elemente, wobei nicht jedes Element eine Variante ist. Inzwischen sind zwischen Land, Stadt, Region und Bahn drei alternative Varianten zur Antragstrasse im Spiel: die Variante Filderbahnhof plus, die Variante „drittes Gleis“ an der S-Bahn-Haltestelle und die neuerdings von der Bahn eingebrachte Variante „Anbindung Ost“, bei welcher die Gäubahnzüge mit einer großen unterirdischen Schleife östlich an den Fernbahnhof angebunden werden. Diese Varianten müssen jetzt vergleichend bewertet werden.
Worauf kommt es Ihnen dabei besonders an?
Das Allerwichtigste ist, dass man die Störungen der S-Bahn durch den Mischverkehr reduziert. Solange man mit Regional- und Fernzügen der Gäubahn auf der S-Bahn-Trasse fährt, wird es gewisse gegenseitige Störungen geben. Am Flughafen kann man nur einen Teil des Problems lösen. Aber auch das ist wichtig. Alle drei Varianten würden den Konflikt im S-Bahn-Halt vermeiden oder zumindest verringern.
Dieser Konflikt ist der echte Schwachpunkt der Bahnpläne?
Das ist besonders ärgerlich, dass der S-Bahn-Halt zurückgebaut werden soll auf ein Gleis, auf der anderen Seite wäre dann der Fernbahnhalt. Das würde eine Einschränkung bedeuten und die Optionen für den künftigen S-Bahn-Verkehr, aber auch für den Regionalverkehr behindern. Ansonsten ist mir wichtig, dass ein Bahnhof kundenfreundlich ist. Der geplante Fernbahnhof für ICE-Züge an der Neubaustrecke liegt sehr tief. Fahrgäste sind immer auf störungsanfällige Aufzüge angewiesen. Der Filderbahnhof plus läge weniger tief in der Erde und wäre deshalb für einen Teil der Fahrgäste kundenfreundlicher.
Und die Kosten?
Die Kosten spielen eine große Rolle. Was kann man sich noch leisten, und wer bezahlt? Der Bahn wiederum ist sehr wichtig, ob man mit einer Planänderung auskommt oder es ein neues Genehmigungsverfahren braucht. Schließlich bleibt die Frage: Geht es mit viel oder wenig Fläche? Es ist der gravierendste Einwand gegen den Filderbahnhof plus, dass man nicht die schon geplante unterirdische Trasse nutzen, sondern vor der Messe im Graben durch freies Feld fahren würde. Einige Landwirte müsste man noch überzeugen, letztlich vielleicht enteignen. Aus ökologischer Sicht ist der kundenfreundliche Filderbahnhof plus wegen des zusätzlichen Flächenverbrauchs jedenfalls problematisch.
In Ihren Augen ist er inzwischen entzaubert?
Man hat am Ende auch nicht mehr Kapazität als bei der Antragstrasse, aber eine gewisse zusätzliche Störungsanfälligkeit zwischen dem Gäubahnverkehr und dem Verkehr auf der Neubaustrecke. Für den Regionalverkehr bringt der Filderbahnhof plus daher verkehrs- und fahrplantechnisch keine Vorteile. Deshalb kann ich nicht begründen, warum das Land über 200 Millionen Euro zusätzlich zahlen soll. Wenn die Region meint, dass das so wichtig ist für die S-Bahn, müsste sie es bezahlen. Wenn die Bahn meint, dass der Filderbahnhof plus wichtig ist für den Gesamtschienenverkehr, müsste sie ihn bezahlen.
Was heißt eigentlich drittes Gleis?
Man fährt zwar mit den Gäubahnzügen auch auf der S-Bahn-Strecke, aber vor dem Flughafen fädelt man auf ein zusätzliches drittes Gleis, das parallel zu den zwei S-Bahn-Gleisen neben der bestehenden Station gelegt wird. So würde es keine gegenseitigen Blockaden geben. Das zusätzliche Gleis hätte keinen Flächenverbrauch an der Oberfläche, wäre wohl einfacher zu bauen und hätte verkehrstechnisch mehr Vorteile als der Filderbahnhof plus. Es ist auch nicht so zeitaufwendig, was die Planfeststellung anbelangt.
Und die Variante Ostanbindung?
Da würde man sehr viel früher von der S-Bahn-Strecke abzweigen und müsste dann in einen Tunnel. Diese Lösung erfordert eine 270-Grad-Wende, und das auch noch unterirdisch. Sie wirkt aufwendig und kostenträchtig. Da könnte man auch nicht mit Tempo 150 fahren, sondern deutlich langsamer. Wenn man bedenkt, dass man den neuen Hauptbahnhof mal bauen wollte, um den Verkehr um wenige Minuten zu beschleunigen, wäre die Fahrzeitverlängerung ein Problem. Wir werden diese Variante trotzdem ernsthaft prüfen. Jede Variante hat Vor- und Nachteile.
Wie unterscheiden sich die Kosten?
Beim Filderbahnhof plus geht es grob um 220 Millionen Euro, beim dritten Gleis um bis zu 80 Millionen Euro. Die Anbindung Ost liegt mit circa 120 Millionen Euro etwa in der Mitte. Dann ist da noch die Realisierungszeit. Sowohl der Flughafen als auch die Bahn und wir als Land haben das Interesse, dass sich die Bauzeit nicht nennenswert verlängert. Das Gemeindeverkehrs-Finanzierungsgesetz läuft 2019 aus. Die damit geförderten Bauanteile müssen bis dahin abgewickelt sein, sonst würden diese Bundesmittel wegfallen.
Ist der Eindruck richtig, dass Sie die Variante drittes Gleis bevorzugen?
Ich habe eine gewisse Vorliebe dafür, der Flughafen ebenfalls. Aber ich gehe offen in die Gespräche. Jeder hat eine Präferenz: Bei der Region ist es der Filderbahnhof plus. Die Bahn geht rein mit der Antragstrasse und lässt eine Sympathie für die Ostanbindung erkennen. Aber alle müssen sich mit allem auseinandersetzen. Wenn wir einen Kompromiss finden wollen, muss jeder offen sein und von seiner Maximalforderung abrücken. Ich habe das ja schon mal vorgemacht.
Was meinen Sie?
Meine Maximalforderung war einmal, dass wir die Gäubahn auf der bisherigen Strecke in die Stadt führen und man in Vaihingen zum Flughafen umsteigt. Auch wenn ich das nach wie vor für die beste Lösung halte, musste ich erkennen, dass die Projektpartner da nicht mitmachen. Andere werden vielleicht auch feststellen, dass ihr Vorschlag nicht geht.
Aber aus Angst vor Mehrkosten von bis zu 220 Millionen Euro einen Flaschenhals zu bauen bei einem Bahnprojekt Stuttgart–Ulm von fast sieben Milliarden Euro, wäre ein Schildbürgerstreich, meint CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf.
Das ist sicherlich richtig. Doch der eigentliche Schildbürgerstreich ist, dass man so viel Geld für S 21 ausgibt und die Bahn Kapazitäten im Raum Stuttgart nicht wirklich verbessert. Aber ich gebe Ihnen so weit recht: Wenn es die Möglichkeit gibt, ein schwieriges und an vielen Stellen problematisches Projekt wenigstens punktuell zu verbessern und absehbare Engpässe zu vermeiden, Probleme im Regional- und S-Bahn-Verkehr zu lösen, dann will ich das tun. Da habe ich eine Verantwortung, auch wenn ich das Projekt kritisch gesehen habe und sehe.
Das Land sagt, der Kostendeckel gilt. Könnten Sie sich aber vorstellen, mehr Geld zu geben, wenn mehr Schienenverkehre möglich sind, als im Finanzierungsvertrag vorgesehen sind?
Der Kostendeckel gilt. Wir machen uns diese Gedanken, damit die Verkehre wirklich störungsfrei stattfinden können. Das Risiko zu reduzieren, dass das komplexe System bei Störungen durcheinanderkommt, ist für mich der Hauptauftrag bei der Suche nach einer besseren Lösung. Zukunftsfähigkeit für weitere Schienenverkehre in Richtung Gäubahn ist natürlich ein weiterer Aspekt.
Wie stark ist die Bahn in der Pflicht?
Es ist einmalig, dass ein Bundesland 930 Millionen Euro zahlt für einen Bahnhof – und dann auch noch einen ähnlich hohen Betrag für die Neubaustrecke. Dazu noch das Geld vom Flughafen. Zusammen sind das etwa 2,2 Milliarden Euro. Dafür muss ein Land erwarten können, dass es einen anständigen, das heißt. funktionierenden Bahnhof auch auf den Fildern bekommt. Etwas anderes ist es, wenn ein Partner nachträglich etwas will, was im Vertrag nicht drinsteht und deswegen auch nicht finanziert ist.
Wo könnte sich das Land noch bewegen?
Wenn wir wollen, dass der Umsteigehalt Vaihingen verbessert wird, können wir das von der Bahn nicht verlangen. Wenn die Bahn sagt, wir bauen die Untertunnelung der Rohrer Kurve so, dass man nur noch mit S-Bahn-Zügen nach Vaihingen kommt, würde ich auch sagen, wir zahlen ein bisschen mehr, damit man auch mit anderen Zügen noch nach Vaihingen kommt. Es lässt sich rechtfertigen, dass andere als die Bahn für Maßnahmen zahlen, die laut Vertrag nicht zu Stuttgart 21 gehören und die man für verbesserungswürdig hält.
Gibt es viele solcher Maßnahmen?
Für mich sind der Filderbahnhof und die Beschränkungen, die sich für den S-Bahn-Verkehr daraus ergeben könnten, nur ein Teil des Problems. Es gibt noch andere Themen, die nicht abgearbeitet sind. Zum Beispiel die alte Nutzung der Gäubahn-Strecke von Vaihingen nach Stuttgart nach der Umleitung der Züge zum Flughafen. Da braucht es ein Konzept. Ich finde sowieso, dass wir über Stuttgart 21 hinaus denken müssen – Gegner wie Befürworter. Das Denkverbot, dass man über gar nichts anderes mehr reden darf als nur über den S 21-Vertrag und wie er erfüllt wird, muss jetzt mal verschwinden. Wenn ein Befürworter etwas Kritisches sagen will, läuft er Gefahr, nicht als echter Befürworter zu gelten. Wenn ich als Gegner mir Gedanken um Verbesserungen mache, laufe ich Gefahr, als Verräter bezeichnet zu werden. Jetzt sind wir erstmals in der Situation, dass viele erkennen: Die Blockade muss durchbrochen werden.
Wird es denn rasch einen Durchbruch geben?
Wir werden vermutlich nicht so schnell wissen, was kommt. Vielleicht sortiert man eine oder zwei Varianten aus. Dann kann man die übrigen vertieft betrachten und entscheiden.
Wie viel Zeit bleibt dafür?
Wir haben noch mindestens bis zum Lenkungskreis im April Zeit, uns zu verständigen, was geht und was nicht geht. Herr Regionalpräsident Bopp zum Beispiel sagt, der Filderbahnhof plus erleichtere es, später mal mit der S-Bahn runterzufahren ins Neckartal. Da wäre ich auch nicht dagegen. Aber dieses Projekt ist erst recht nicht finanziert. Niemand sagt, wie es gehen soll und was es kostet. Das ist nur eine Option. Die ist aber auch bei der Variante drittes Gleis nicht verbaut, nur etwas schwieriger.
Reizvoll ist diese Tangentialverbindung an Stuttgart vorbei ja schon.
Der Gedanke ist schön. Man muss aber erst einmal das Potenzial und die Wirtschaftlichkeit ermitteln. Das war ja auch immer meine Kritik an der Gäubahnanbindung: dass die Zahl der Menschen, die aus dem Gäu kommen und an den Flughafen wollen, diese komplizierte Konstruktion nicht rechtfertigt. Aber da konnte ich mich nicht durchsetzen.
Das ist aber nach wie vor eine populäre Haltung bei der Schutzgemeinschaft Filder. Jetzt wollen Sie im Stuttgarter Filderwahlkreis für den Landtag kandidieren. Was erwartet Sie wohl im Wahlkampf?
Ich gehe ein hohes Risiko ein, indem ich mich auf ein Projekt einlasse, das ich grundsätzlich kritisiere, und indem ich sage, es kann keine verantwortungsvolle Haltung eines Verkehrsministers sein, nichts an S 21 zu verbessern, weil man grundsätzlich dagegen ist. Meine Verpflichtung ist, dass ich möglichst guten Verkehr auf der Schiene ermögliche. Aber nicht alle Gegner und Befürworter des Projekts legen eine rationale Haltung an den Tag. Das ist bei manchen eine Glaubensfrage.
Sie finden die Debatte irrational?
Das ist das Problem. Ich war bei der Demonstration „Willkommen in Stuttgart“, bei der es um Toleranz und Offenheit für Zuwanderer ging. Da haben mich einige S-21-Gegner entdeckt, und ihre Worte waren: „Was will denn das Pack hier?“ Wenn einige Leute schon jetzt so mit Regierenden umgehen, die sich seit langem kritisch mit dem Projekt befassen, wird einem klar, was im Wahlkampf kommen kann. Ich gehe aber davon aus, dass es auch Wählerinnen und Wähler gibt, die verantwortungsbewusstes Handeln akzeptieren, vielleicht sogar wertschätzen.