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Stuttgart 21: Demos und Gespräche mit Parteien in Berlin - 600 Gegner demonstrieren.

Berlin - Rund 600 Gegner von Stuttgart 21 haben am Dienstag in Berlin gegen das Bahnprojekt demonstriert. Neben den Kundgebungen vor dem Brandenburger Tor und dem Potsdamer Platz haben sie sich auch mit den Parteien getroffen. Ziel war es, den Protest in die Bundeshauptstadt zu bringen.

Es ist 7.10 Uhr, und gerade wird es hell. Vor dem Fenster des Zugabteils erscheinen die ersten Gebäude der Bundeshauptstadt. "Gleich haben wir Berlin Hauptbahnhof erreicht", sagt Valentin Funk, Parkschützer und Organisator des Protestzuges der Gegner von Stuttgart 21. Der Rest geht unter. Viele der 600 Mitgereisten haben sich aus dem Fenster gelehnt und beginnen mit einem schrillen Pfeifkonzert und lauten "Oben bleiben"-Rufen. Als der Zug zehn Minuten später am Berliner Hauptbahnhof ankommt, wird der Lärm ohrenbetäubend.

"Die Schwaben erobern die Hauptstadt", ruft einer. Auf dem Bahnsteig steht ein Empfangskomitee. Es stammt überwiegend aus der Fraktion der Linken. Dann muss es schnell gehen: "Der Zug hält hier nur sechs Minuten", sagt Valentin Funk und bittet um Mithilfe beim Ausladen. Vor dem Bahnhof auf dem Washingtoner Platz werden die S-21-Gegner mit heißem Kaffee und frischen Brezeln begrüßt. Dann geht es los: Der Protestmarsch durch Berlin formiert sich.

Volksentscheid: Hoffen auf Hilfe aus der Schweiz

"Wir wollen den Widerstand gegen den Kopfbahnhof nach Berlin tragen", erklärt derweil Funk. Dafür haben sie sich etwas Besonderes ausgedacht. Die erste Aktion führt ein paar der Demonstranten zur Schweizer Botschaft. Vorneweg Funk und der Kabarettist Peter Grohmann. "Ich will vorsorglich den Antrag stellen, dass Baden-Württemberg ein Schweizer Kanton wird", erklärt er mit einem Augenzwinkern. Wichtiger jedoch ist für beide der Brief an den Schweizer Bundesrat Moritz Leuenberger. "Sie haben uns etwas voraus", sagt Funk dem Sprecher Heinrich Maurer, "bei Großprojekten führen sie einen Volksentscheid durch, und sie haben ein Gesamtkonzept im Eisenbahnverkehr." Beide erhoffen sich Hilfe von der Schweiz für ihr Anliegen: "Denn kommt Stuttgart 21, dann werden sie abgehängt." Maurer sagt, er werde den offenen Brief der S-21-Gegner entgegennehmen und den zuständigen Stellen zuleiten.

Danach geht der Protestzug durch die Landeshauptstadt weiter. Vorbei am Deutschen Theater und am ARD-Hauptstadtstudio bis zum Brandenburger Tor. Dort treffen die Gegner auf Grünen-Chef Cem Özdemir. "Lasst Bahn-Chef Rüdiger Grube das Argument nicht durchgehen, es gehe ihm um die Bahn", sagt er, "es geht um Milliarden, um Immobilien, Ansehen, aber sicher nicht um die Bahn." Alles klatscht und pfeift. Seiner Meinung nach solle Grube einmal ein Praktikum bei der Schweizer Bahn machen. Dann könne er lernen, wie eine funktionierende Bahn geplant werde. Außerdem haben die Demonstranten einen Trümmerhaufen aufgebaut. "Das sind Steine vom Nordflügel", sagt Matthias von Herrmann, Sprecher der Parkschützer. Sie seien der Ansporn, weiter gegen das Bahnprojekt vorzugehen.

Nach dem Schwabenstreich geht's zurück nach Stuttgart

Am Nachmittag treffen sich die S-21-Gegner mit den verschiedenen Parteien. Auch Stefan Kaufmann, der Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Stuttgart I, und Thomas Strobel, der Generalsekretär der CDU Baden-Württemberg, stellen sich den Fragen einer kleinen Delegation. "Wir wollen Ihnen erklären, warum die ansonsten so ruhigen Schwaben bei S21 zornig werden", sagt Alexandra Kurrek von den Parkschützern. Sie greift die Argumente der Befürworter auf und versucht sie zu entkräften. Strobel und Kaufmann erklären ihrerseits, warum sie für das Projekt sind. Am Ende lädt Kaufmann alle ein, sich in Stuttgart noch mal zusammenzusetzen. "Etwas anderes habe ich nicht erwartet", sagt Kurrek. Sie habe zwar gehofft, dass der Dialog offener ist, aber beide hätten nur das wiederholt, was sie immer gesagt hätten. "Ich habe das Gefühl, die Politiker stellen bei dem Thema auf Autopilot", sagt sie.

Um 17 Uhr treffen sich die Demonstranten am Potsdamer Platz vor der Firmenzentrale der Deutschen Bahn wieder. Zuvor haben sie bei einer Schiffsfahrt durch das Nikolai-Viertel und vorbei am Bundestag noch einmal lautstark auf ihre Forderungen aufmerksam gemacht. Vor der Bahnzentrale tritt auf der Bühne eine Gruppe auf, die den Tag über unter Anleitung des Regisseurs Volker Lösch ein Theaterstück einstudiert hat. Außerdem werden die S-21-Gegner, die nicht mit zu den Parteien konnten, über die Ergebnisse informiert.

Nach dem Schwabenstreich um 19 Uhr geht es wieder zurück nach Stuttgart. "Es war wichtig, dass wir nach Berlin gekommen sind", sagt Eva-Maria Gideon aus Schorndorf. Sie seien von vielen Berlinern angesprochen worden. "Stuttgart 21 ist kein regionales Projekt", sagt sie.