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Gemeinderatsitzung von S21-Gegnern verzögert - Polizei muss dann aber doch nicht eingreifen.

Stuttgart - Im Streit um Stuttgart 21 geht es weiter hoch her. Am Donnerstagnachmittag blockierten Gegner des Projekts die Tür zum Großen Sitzungssaal des Rathauses, um eine Gemeinderatssitzung zu verhindern. Sie machten den Weg nach rund einer Viertelstunde frei, als bereits die Polizei erwartet wurde.

Die Kommunalpolitik in Zeiten des Stuttgart-21-Streits bleibt schwierig. Auch die Grünen, die das Bahnprojekt bis heute ablehnen, aber den Ausgang der Volksabstimmung respektieren, bekamen das am Donnerstag zu spüren. Der Verwaltungsbürgermeister und frühere Grünen-Fraktionschef Werner Wölfle hatte es mit einer Gruppe von Demonstranten zu tun, die den Eingang zum Sitzungssaal des Gemeinderats blockierte. Wölfle und die Projektgegner lieferten sich eine heftige Diskussion über das Wesen von grundgesetzlichen Freiheiten. Wölfle musste sich als „grüner Wendehals“ titulieren lassen. „Nie wieder Grün“, riefen die Blockierer ihm zu. Wölfle entgegnete, er habe sich vor einem Jahr auch schon für den freien Zugang der Mandatsträger zum Sitzungssaal eingesetzt. Wölfle gab den Blockierern 15 Minuten Zeit und hielt die Polizei so lange im Hintergrund. Dann räumten die Demonstranten das Feld.

Viele Stadträte reagierten mit scharfer Kritik an den Blockierern. Viele Kinder, die mit ihren Eltern zu einer Demonstration für mehr Personal in den Kindertagesstätten ins Rathaus gekommen waren, hätten hier etwas miterlebt, „was sie nicht miterleben sollten“, sagte Marita Gröger (SPD), als die Sitzung begonnen hatte. Rolf Schlierer, der Stadtrat der rechtspopulistischen Republikaner, trat als Hüter der Demokratie auf. Wer den Zugang von Stadträten blockiere und den demokratischen Prozess behindere, sei ein Demokratiefeind, sagte er an die Adresse von „Schreihälsen“ auf der voll besetzten Tribüne. 

Von oben erschallten wiederholt Buhrufe, Pfiffe und „Lügenpack“-Rufe. Die Zuhörer erzürnte unter anderem, dass der Gemeinderat eine Vereinbarung mit der Bahn AG über die Überlassung von Grundstücken für Stuttgart 21 billigte. Die Protestierer sehen im Ergebnis der Volksabstimmung noch nicht die endgültige Entscheidung zugunsten des Tiefbahnhof-Baus. Fraktionschef Hannes Rockenbauch (SÖS/Linke) erhielt Applaus für die Forderung, „keine Fakten zu schaffen, bevor alle Genehmigungen vorliegen und Kostentransparenz geschaffen ist“. SPD-Fraktionschefin Roswitha Blind erntete Entrüstung für die Feststellung, dass am 27. November mit klarer Mehrheit die Entscheidung für S21 gefallen sei. Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) riet davon ab, sich zu echauffieren: Die Bahn habe einen Rechtsanspruch auf die Vereinbarung. Von den Konditionen her werde sie behandelt „wie jeder andere Dritte“. Die Vereinbarung wurde trotz fünf Gegenstimmen der Fraktion SÖS/Linke und sechs Enthaltungen von Grünen-Stadträten beschlossen.

Zündstoff boten aber auch die Kindertagesstätten und die wirtschaftliche Situation mancher Kinder in Stuttgart. Die Initiative „Reiche Stadt – arme Kinder“ forderte massive Investitionen in Kinder und Bildung. Zahlreiche Eltern und Kinder sowie Verdi-Gewerkschafter waren nach einem Aufruf des Gesamtelternbeirats der städtischen Kitas ins Rathaus gekommen. Der Elternbeirat verlangt mehr Betreuungsplätze für Kinder und bessere Arbeitsbedingungen für das Personal. In nahezu jeder Einrichtung sei aufgrund des Personalmangels durchschnittlich eine Stelle nicht besetzt, erklärte der Gesamtelternbeirat. Er kritisierte „die geplanten Kürzungen beim Ausbau der Kitas“ und eine geplante „massive Kürzung bei der Neuschaffung von Personalstellen“. Was im Rathaus bisher geplant ist, reicht den Elternbeiräten offenbar nicht. 

OB Wolfgang Schuster, der vor allem von Stuttgart-21-Gegnern mit Transparenten massiv angegangen wurde, erntete Pfiffe für seine Hinweise auf die Bedeutung der angepeilten Investitionen. Seit Jahren habe es keine Etatposten gegeben mit so starkem Zuwachs wie diesmal bei Schulen und Kitas. Im Gemeinderat gebe es eine „ganz große Koalition für eine kinderfreundliche Stadt“.

In der Zweiten Lesung hatten die Stadträte und die Verwaltung sich auf einen Ausbau der Schulgebäudesanierungen, der Ganztagsschulen und der Kinderbetreuung im Vergleich zum letzten Haushalt verständigt. In der Ersten Lesung hatten die Fraktionen zwar vor allem bei den Stellenschaffungen noch mehr Wünsche gehabt, sie mussten sie aber teilweise mangels Einnahmen reduzieren. Dennoch werden jetzt 120 zusätzliche Stellen in den Kitas geschaffen. 

Insgesamt kommen 548,63 Stellen in der Stadtverwaltung hinzu, wovon 224 davon herrühren, dass die Stadt zum 1. Januar das Jobcenter in ihre alleinige Regie nimmt. 

Bei der Verkehrsüberwachung sollen 25,5 neue Stellen entstehen, wovon sich die Hälfte durch Gebühren und Bußgelder finanzieren soll. Über den Haushalt 2012/2013 insgesamt wird am Freitag entschieden. Die öffentliche Sitzung beginnt um 8.30 Uhr.