5000 Besucher nutzten den ersten der drei „Tage der offenen Baustelle“ zur Besichtigung des S-21-Geländes am Hauptbahnhof Foto: Jan Reich

Das freundliche Wetter bescherte den „Tagen der offenen Baustelle“ am Stuttgarter Hauptbahnhof zum Auftakt rund 5000 Besucher. Bis Mittwoch bietet sich der Bevölkerung die Gelegenheit, den Baufortschritt von Stuttgart 21 genauer ins Visier zu nehmen.

Stuttgart - Mehr als alles andere fürchteten die Veranstalter das Wetter. „Drei Tage Dauerregen wären natürlich blöd“, sagt Tanja Sehner, Leiterin der Bereiche Marketing und Event beim Verein Bahnprojekt Stuttgart–Ulm e. V.. Zumindest am Montag wurden Sehner und ihr Chef, der Vereinsvorsitzende Georg Brunnhuber, von den höheren Wettermächten erhört. Zum Start der dreitägigen Aktion am Montagvormittag war es nicht nur trocken und mild, es schien sogar die Sonne. Nasskalte Witterung wäre zwar kein Hinderungsgrund, könnte viele dennoch davon abhalten, den kostenfreien Gang über die Baustelle anzutreten. Denn an kaum einer Stelle des zur Besichtigung freigegebenen Areals sind die Besucher vor Regen geschützt.

Die „Tage der offenen Baustelle“ auf Anfang Januar zu legen hatte für den Verein zwei wesentliche Gründe. „Von Weihnachten bis zum 10. Januar ist die einzige Zeit, in der auf der Großbaustelle nicht gearbeitet wird. Und gleichzeitig hat ein Großteil der Bevölkerung Ferien“, so Georg Brunnhuber. Bei laufendem Baubetrieb wäre beispielsweise der Zutritt in die ersten 30 begehbaren Meter der Tunnelröhre der Zuführung Feuerbach aus Sicherheitsgründen undenkbar. Gerade dieses riesige Loch unter der Jägerstraße in der Nähe der Heilbronner Straße ist zweifellos einer der Höhepunkte der Besichtigungstour.

Am sogenannten Nordkopf haben die riesigen Bohrmaschinen ein im Durchmesser 16 Meter großes Loch in den Berg gegraben. Darin entstehen gerade zwei parallel laufende Röhren, die später einmal jeweils zwei Gleise haben sollen. Einmal in Richtung Feuerbach, einmal in Richtung Bad Cannstatt. Am Verzweigungsbauwerk trennen sich weit drin im Berg die Röhren. „Rund einen Meter am Tag kommen wir voran“, klärt Bergbaufachmann Thomas Christoph über die mühselige bergmännische Arbeit im Ulmenstollen-Vortrieb an diesem „sehr großen Tunnel“ auf. 30 Meter sind geschafft, 245 müssen es am Ende dieses Abschnitts sein. Viele Besucher, die an dieser Stelle vor den riesigen Maschinen und den noch gigantischeren Mauern und Steinbergen stehen, sind spürbar beeindruckt von den Dimensionen, die sich ihnen hier auftun.

Ebenfalls eine große Nummer wartet am südlichen Ende der Besichtigungsstrecke auf die Besucher. Zu entdecken ist hier der betonierte Teil der ersten Kelchstütze. Jene architektonische Besonderheit im Plan des Architekten Christoph Ingenhoven wird später einmal das Dach des neuen Hauptbahnhofs tragen. 28 solcher Kelchstützen sind vorgesehen, von der ersten steht jetzt ein Achtelsegment. Der Fuß des später bis zu zwölf Meter hohen Bauwerks mit seinem 23 Meter Durchmesser großen ringförmigen Kopf sieht beängstigend schmal aus. S-21-Sprecher Jörg Hamann spricht von „höchsten Ansprüchen an die ausführenden Baufirmen“ bei der Verarbeitung des speziellen Weißbetons und der Verschalung der Kelchstützen. Dass in der Bauphase eine einzelne Kelchstütze von alleine nicht steht, sondern erst fünf solcher Teile sich gegenseitig halten, irritiert dann doch so manchen Zuhörer.

Ingenieure und Arbeiter geben Auskünfte

Nicht weit vom Standort der ersten Kelchstütze laufen die vielen blauen Rohre beim Grundwassermanagement zusammen. Baustellenbesucher werden vor den riesigen Tanks darüber aufgeklärt, dass hier das Wasser aus 25 Kilometer Druckrohrleitungen und elf Übergabestationen über mechanische Filter und Aktivkohlefilter gereinigt wird. „80 000 Liter Wasser werden hier pro Stunde bearbeitet“, informiert Carsten Spörke von der emsländischen Firma Hölscher Wasserbau. „Bis auf bakterielle Spuren hat es nachher Trinkwasserqualität“, sagt Spörke über das gereinigte Wasser, das zum Großteil dem Neckar zugeleitet wird.

Zwischen Tunnel, Stützkelch und Grundwassermanagement fällt der Blick der Besucher immer wieder in eine der großen Baugruben beim Bahnhofstrog zwischen den beiden Fußgängerstegen des alten Bahnhofs sowie am sogenannten Cannstatter Kanal. Hier wie auch an anderen markanten Stellen der Baustellentour stehen Ingenieure und Arbeiter neben vom Verein aufgehängten Infotafeln und beantworten Fragen der Passanten. 40 Personen, inklusive des Sicherheitspersonals an den vier Einlassstellen, hat der Veranstalter für die drei Tage im Einsatz.

Wem die reale Betrachtung der Baufortschritte noch zu weit weg von der späteren Endform ist, der kann im Bonatzbau am Holodeck den Blick in die Zukunft starten. Mit einer Spezialbrille auf dem Kopf läuft der Betrachter virtuell im fertigen S-21-Bahnhof umher. „Das ist hier der erste Einsatz dieser Technologie“, sagt Robin Wenk von der Stuttgarter Firma Lightshape, die ein vergleichbares Modell dieser Virtual-Reality-Brillen ab Ende Februar auch im Turmforum für das S-21-Projekt installieren will.

Nur Transparenz schafft Akzeptanz

„Höchste Zeit, dass die Bahn solch einen Baustellenbesuch ermöglicht hat. Nur mit Transparenz nimmt die Akzeptanz zu“, sagt Wilfried Gassner, der mit seinem Sohn interessiert übers Gelände streift. Vor Jahren hat der Stuttgarter noch gegen das Milliardenprojekt demonstriert, inzwischen hat er sich zumindest damit arrangiert: „Verhindern kann man es jetzt eh nicht mehr.“ Ob Gegner oder Befürworter von S 21, alle Baustellenbesucher sind angetan von der Möglichkeit, einmal ganz nahe dran zu sein an diesem Riesenbauwerk, das sonst nur mit weitem Abstand durch Absperrzäune betrachtet werden kann. „Wir gucken kritischer drauf als andere und sehen hier vieles im Argen“, sagen Peter Müller und Rainer Müller. Die entschiedenen S-21-Widersacher wollen an abgetrennten Rohren entlang der alten Gleisführung „wahrscheinlich Asbest“ entdeckt haben.

Georg Brunnhuber sieht den Auftakt der Tour gelungen. „Wir sind hier völlig transparent, verheimlichen nichts. Das ist die beste Möglichkeit, dem enormen Informationsbedürfnis der Menschen nachzukommen.“ Am Dienstag und Mittwoch (jeweils 10 bis 16 Uhr) sind die Tore noch geöffnet. Insgesamt bis zu 20 000 Besucher erhofft sich der Verein.