Fundstelle der Hockergräber Foto: LAD im RPD, Papadopoulous

Durch die Arbeiten für Stuttgart 21 wird klar, wer sich einst so alles im Schlossgarten herumgetrieben hat. Jüngste Knochenfunde deuten auf Menschen aus der Stein- oder Bronzezeit hin.

Stuttgart - Historiker profitieren von den Arbeiten für Stuttgart 21: Weil Archäologen des Landesdenkmalamts bei Aushubarbeiten präsent sind, können jahrtausendealte Siedlungsspuren im heutigen Stadtzentrum eingeordnet werden. „Wir hätten vor ein paar Tagen nie damit gerechnet, dabei auf drei Skelettgräber zu stoßen“, sagte Nadine Hilber, Pressereferentin im Regierungspräsidium Stuttgart am Freitag.

Gefunden wurden die Gräber bei Erdarbeiten an der S-21-Abwasserleitung in der Cannstatter Straße am Mittleren Schlossgarten. Sie befanden sich vier Meter unter dem heutigen Bodenniveau. „Die Toten waren auf der Seite liegend mit angewinkelten Armen und Beinen beigesetzt worden“, sagte Hilber.

Grabbeigaben oder weitere Funde, die auf das Alter der Gräber schließen lassen, seien jedoch nicht ans Tageslicht gekommen, führte die Sprecherin des Regierungspräsidiums aus. Einen Hinweis gibt es jedoch bereits: Es handelt sich um Hockergräber, eine Grabform, die von der Jungsteinzeit ab etwa 5500 vor unserer Zeitrechnung bis in die frühe Bronzezeit vor 2000 Jahren vor Christus die häufigste Bestattungsform in Süddeutschland war.

Dieser große Zeitspielraum von 3500 Jahren verbietet Spekulationen über das Alter der Gräber. Deshalb werden derzeit die Knochen in der Konstanzer Arbeitsstelle des Landesamts für Denkmalpflege unter die Lupe genommen. „Wir untersuchen zur Datierung naturwissenschaftlich und dann anthropologisch, um herauszufinden, ob es sich um die sterblichen Überreste von Männern oder Frauen handelt“, sagte Hilber.

Zeugnisse aus der Römerzeit und germanische Siedlungsspuren

Außer den alten Gräbern fanden die Archäologen Zeugnisse aus der Römerzeit des zweiten und dritten Jahrhunderts und germanische Siedlungsspuren aus der Mitte des vierten Jahrhunderts, darunter Keramikscherben, Holzreste und eine Gewandschließe aus Bronze.

Das alles lag in einer Torfschicht, die entweder den Verlauf eines Nebenarms oder zumindest den Hochwasserbereich des damaligen Nesenbachs kenntlich macht. Die neue Fundstelle deuten Archäologen nun als östlichen Verlauf einer frühgeschichtlichen Siedlung, deren Gesamtausdehnung möglicherweise erst bei späteren Grabungen erkennbar wird.

Seit fast einem Jahr begleiten Mitarbeiter des Landesamts für Denkmalpflege den Erdaushub zur Herstellung der Baugrube für den Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Schon im Frühsommer stießen sie dabei in den unterschiedlichen Baufeldern auf Funde aus den Zeiten der alten Römer, der Völkerwanderung und der Renaissance.

Sensationsfunde wie das Grab des Keltenfürsten in Hochdorf sind ausgeblieben. Dennoch ergaben sich interessante Erkenntnisse für die Stuttgarter Stadtgeschichte: Jetzt weiß man durch Mauerreste eines römischen Gutshofs definitiv, dass die Römer nicht, wie bis dahin angenommen, nur in Cannstatt, sondern auch im Talkessel präsent waren. Pfahlfunde aus dem vierten Jahrhundert werten die Archäologen als Hinweis darauf, dass sich Alemannen auf der Ruine des Gutshofs niedergelassen haben.

Weitere Teile der damals erkannten Bodenzeugnisse liegen noch in Baufeldern, die erst in den kommenden Jahren eröffnet werden. Vor den Bauarbeiten sind dann aber erst die Archäologen am Zug. Die Arbeiten zur Rettung der kostbaren Relikte aus der Vergangenheit dauern nach Einschätzung des Regierungspräsidiums bis ins Frühjahr 2016. Darüber, dass die weiteren archäologischen Rettungsgrabungen reibungslos verlaufen können, ohne dabei die Bauarbeiten zu beeinträchtigen, wollen das Land und die Deutsche Bahn demnächst eine Vereinbarung abschließen. Nach Angaben des Regierungspräsidiums wird der Vertragsentwurf dafür derzeit vorbereitet.