Der Bahnhof und sein Umbau lassen auch die IHK nicht los. Foto: Leif Piechowski

Rund 160.000 Unternehmen vertritt die Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart. Die Mehrheit hat sich jetzt erneut für Stuttgart 21 ausgesprochen. Doch die Projektkritiker innerhalb der Kammer ziehen alle Register – und erzwingen wohl eine Sondersitzung.

Stuttgart - Das Thema ist heikel. Wo auch immer es um Stuttgart 21 geht, sind hitzige Diskussionen programmiert. In der IHK dagegen war man sich in der Vergangenheit lange weitgehend einig: Die gewählte Vollversammlung, quasi das Parlament der regionalen Wirtschaft, hat sich immer wieder deutlich für eine Unterstützung des Bahnprojekts ausgesprochen.

Doch seit der Neuwahl im vergangenen Jahr stellt die sogenannte Kaktus-Gruppe ein Fünftel der Vollversammlungsmitglieder. Sie ist angetreten, um die Pflichtmitgliedschaft in der Kammer zu bekämpfen – und die Positionierung pro Stuttgart 21. Das treibt jetzt merkwürdige Blüten. So werden sich die Vertreter der Unternehmen demnächst wohl in einer Sondersitzung mit dem Thema beschäftigen müssen – obwohl sie sich jüngst erneut mit großer Mehrheit für das Bahnprojekt ausgesprochen haben. Das Vorgehen beschäftigt inzwischen die Juristen der IHK, die eine Formulierung in der Satzung prüfen müssen.

In einer Sitzung Anfang Juli hat es drei Anträge zu Stuttgart 21 gegeben. Die Kaktus-Gruppe wollte, dass sich die IHK gar nicht mehr zum Thema äußert, kam damit aber nicht durch. Stattdessen beschloss die Vollversammlung, dass sich die Kammer weiter für das Bahnprojekt aussprechen solle – aber kritischer als bisher. So fordert man jetzt, dass die Ergebnisse der Schlichtung berücksichtigt werden müssen. Ebenso heißt es, die Projektpartner seien in der Pflicht, besser zusammenzuarbeiten und die Ergebnisse des Filderdialogs umzusetzen.

Möglichkeit aus Gründen des Minderheitenschutzes

Abgelehnt wurde der Antrag der Kakteen, trotz dieser Beschlüsse eine Sondersitzung zum Thema einzuberufen. Doch geben wird es sie wohl dennoch. Weil gut 20 Prozent der Vollversammlungsmitglieder dafür votierten, sehe die Satzung der IHK diese Möglichkeit aus Gründen des Minderheitenschutzes vor, sagt Kaktus-Sprecher Clemens Morlok. „Einige Ergebnisse aus der Schlichtung sind längst überholt“, begründet er. Außerdem sei in der Sitzung nicht genug Zeit für Diskussionen gewesen.

Die Forderung bringt die IHK in Schwierigkeiten. Derzeit prüfen die Juristen, wie die Klausel auszulegen ist und ob es die Sondersitzung tatsächlich geben muss. Der Passus habe lediglich die Funktion, Sitzungen erzwingen zu können, falls der Präsident grundsätzlich keine einberufe, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Andreas Richter. „Das Thema Stuttgart 21 dagegen ist ausführlich behandelt worden und es wurde darüber abgestimmt“, sagt er.

Bei der IHK fürchtet man, dass künftig jede Minderheit, die bei einer Abstimmung 20 Prozent erreicht, auf dieser Grundlage Sondersitzungen einberufen und Abstimmungen damit konterkarieren könnte. Dass die Sondersitzungen dann beschlussfähig wären, glaubt Richter nicht, weil die meisten Mitglieder zu Hause bleiben würden. Die Kaktus-Gruppe wertet das als Boykottaufruf und kündigt derweil schon weitere Schritte an, falls die juristische Prüfung nicht in ihrem Sinne ausfällt: „Dann gehen wir dagegen vor. Die Sache ist eindeutig“, sagt Morlok.

Seit jeher große Mehrheit für Stuttgart 21

Die Auseinandersetzung um die Positionierung der IHK für Stuttgart 21 hat bereits eine gewisse Tradition. Stets haben sich die Mitglieder mit großen Mehrheiten dafür ausgesprochen. Vor gut zwei Jahren jedoch haben die Projektkritiker innerhalb der Kammer erstmals auf sich aufmerksam gemacht und sind vor das Verwaltungsgericht gezogen. Der Grund: Die IHK hatte an ihrem Gebäude ein Werbetransparent für Stuttgart 21 aufgehängt und es zudem in ihrem Magazin abgebildet.

Kläger damals: Das heutige Vollversammlungsmitglied Morlok. Die IHK sei zu Neutralität verpflichtet und müsse die Meinungen aller Mitglieder vertreten, argumentierte er damals. Und bekam Recht. Zwar dürfe die IHK grundsätzlich Stellung nehmen, allerdings verbiete ihre Form der Zwangskörperschaft in einer politisch zugespitzten Situation eine plakative Äußerung in nur einer Richtung, urteilte das Gericht. Die IHK nahm das Transparent daraufhin ab – und achtet seither peinlich genau darauf, bei Stellungnahmen zum Thema immer auch darauf hinzuweisen, dass es innerhalb der Kammer auch abweichende Stimmen gebe.

Vor weiteren Diskussionen schützt das offenbar nicht. Die Fortsetzung folgt.