Der Umfang der Bauarbeiten für das Bahnprojekt Stuttgart 21 mit der neuen Durchgangsstation in der Stadtmitte soll im kommenden Jahr deutlich zunehmen. Für Baufirmen wächst damit die Chance, über Nachträge zusätzliches Geld zu fordern.
Stuttgart - Die Bahn will von 2014 an mit ihrer Großbaustelle Stuttgart 21 vorankommen. Zur Jahresmitte soll der Rohbau für vier Tunnel und den tiefer gelegten Hauptbahnhof beginnen. Damit könnten für die Baufirmen jene goldenen Zeiten anbrechen, in der sie jedes Erschwernis, jede Abweichung, jede Verzögerung und jeden Sonderwunsch dokumentieren und abrechnen werden. Die Bahn sucht nun für den Tiefbahnhof einen Spezialisten, der die sogenannten baubetrieblichen Nachträge vor allem kostenmäßig in Grenzen hält.
Im März 2013 hat der Bahn-Aufsichtsrat der neuen Kostenprognose für das Projekt zugestimmt. Statt 4,5 stehen nun bis zu 6,526 Milliarden Euro zur Verteilung bereit. Allein 730 000 000 Euro hat das Unternehmen dabei als „Nachtragspuffer“ in die Planung eingestellt. Die Firmen wissen also, was mindestens zu holen ist.
Der neue Millionen-Mann oder die Millionen-Frau soll für die Bahn beim Tiefbahnhof jeden Euro verteidigen. Für die weiteren Teilabschnitte sehe man sich selbst bereits gut aufgestellt, heißt es im S-21-Kommunikationsbüro. Beim Abschnitt 1.1 (Tiefbahnhof) mit seinen rund 5000 Einzelpositionen solle aber „aufgrund der Komplexität“ externer Sachverstand eingekauft werden, um eine temporäre Spitze abzudecken. Sie könnte laut Ausschreibung immerhin bis Ende September 2017 dauern. Würde bei dem Projekt bis dahin tatsächlich alles nach Plan laufen, dann wären drei Viertel des Rohbaus des Tiefbahnhofs erledigt.
Diverse Änderungen stehen an
Vor der Kostenexplosion sollte der achtgleisige Durchgangsbahnhof laut eines nicht öffentlichen Bahn-Papiers (Stand: Ende 2009) genau 893 072 509,28 Euro kosten. Rechnet man die 14,25 Prozent Nachtragspuffer für das Gesamtprojekt auf die alte Summe um, könnten sich allein für den Bahnhof 127,32 Millionen Euro an Nachträgen ergeben.
Der Bau des neuen Hauptbahnhofs ist zwar seit 2005 genehmigt, aber acht Jahre später stehen diverse Änderungen an. Und das, obwohl die Arbeiten bereits an die Züblin AG vergeben worden sind. So sollen die glasüberdachten Eingänge verkleinert und auf einen Versorgungstunnel unter den Bahnsteigen verzichtet werden. Weil zusätzliche Treppenhäuser neue Fluchtwege eröffnen sollen, wird die Gründung und Dachstatik angepasst werden müssen. Ein Abwasserkanal unter dem Bahnhofstrog soll anders als geplant ausgeführt werden. Auch die Entrauchung muss angepasst werden. „Es gibt einen bestimmten Umfang an Planänderungen nach der Vergabe“, räumt ein S-21-Sprecher ein. Die müsse der neue Mitarbeiter im Auge behalten. In der Ausschreibung heißt das „baubetriebliche Beratung bei Nachtragsforderungen zu gestörtem Bauablauf und veränderten Bauabläufen während der Planungs- und Bauphase“.
Forderungen des Auftragnehmers sollen geprüft und „nach dem Verursacherprinzip“ bewertet werden. Vergleichskalkulationen sollen aufzeigen, ob die Baufirmen in ihren Forderungen unmäßig bis unverschämt werden. Außerdem, so darf man die Ausschreibung lesen, muss der neue Mitarbeiter auch zum Gegenangriff bereit sein: Das „Erfassen, Zusammenstellen und Dokumentieren von Gegenforderungen, die Mitwirkung bei der Geltendmachung von Gegenforderungen“ werden erwartet. Bis zum 30. August dürfen sich Bewerber mit Berufserfahrung melden. Dann wird verhandelt. Dabei schaut die Bahn auf den Preis. Eingestellt wird, wer sich am billigsten verkauft.