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S 21: Auch Justizministerium sieht keine Rechtsgrundlage für Erwartung der SPD-Spitze.

Stuttgart - Die SPD-Spitze erwartet einen Bau- und Vergabestopp bei Stuttgart21 bis zum Volksentscheid. Das Justizministerium hält diese Forderung aus rechtlichen Gründen für nicht haltbar. Weil der Baustopp viele Millionen Euro kostet, wird auch die Bahn der SPD kaum folgen.

Das baden-württembergische Justizministerium hat am Freitag den Vorstellungen der SPD widersprochen, wonach bis zum Volksentscheid über Stuttgart21 alle Signale auf Stopp gehen müssten. "Das trifft in keinem Fall zu", erklärte ein Sprecher des Ministeriums gegenüber unserer Zeitung.

"Ein Volksentscheid hat keinen Einfluss auf die Vollziehbarkeit von rechtskräftigen Planfeststellungsbeschlüssen - und das gilt erst recht, wenn der Volksentscheid noch nicht einmal stattgefunden hat", sagte der Sprecher nach einer ersten Bewertung des Sachverhalts im Ministerium. Im Klartext: Die Deutsche Bahn kann auf Grundlage ihrer umfassenden Baugenehmigungen weiter bauen und auch weiterhin Aufträge für S21 vergeben. Selbst wenn es eines Tages zum Volksentscheid käme und sich die Projektgegner durchsetzten, könne "nicht die Landesregierung, sondern nur das Eisenbahnbundesamt den Widerruf der Planfeststellung erklären", ergänzt der Sprecher.

Das hörte sich am Donnerstag noch ganz anders an: Nach der ersten Koalitionsverhandlung zu S21 sagten der designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und sein künftiger Minister Nils Schmidt (SPD), dass man von der Deutschen Bahn erwartete, dass bei Stuttgart21 "keine weitere Fakten" geschaffen würden, bis der Stresstest beendet sei. Dessen Ergebnisse werden im Juni oder Juli erwartet.

Schmid fügte am Donnerstag sinngemäß im Gespräch mit Journalisten hinzu, dass er sich einen solchen Bau- und Vergabestopp sogar bis zum angestrebten Volksentscheid zu S21 im Herbst erwarte. Falls der Konzern nach der Ankündigung des Volksentscheids weiter baue und Aufträge vergebe und damit neue Kosten verursache, genieße er diesbezüglich keinen Rechtsschutz, sagte der Jurist Schmid. Auch die Kosten aus dem Bau- und Vergabestopp könne die Bahn dem Land nicht in Rechnung stellen.

Die Deutsche Bahn hat bisher nicht auf die Ankündigungen der Koalitionäre reagiert. Das hängt zunächst damit zusammen, dass man "noch nichts Schriftliches" aus Stuttgart vorliegen habe, heißt es in der Berliner Bahn-Zentrale. So könne man schwer einschätzen, welchen Kurs die Landesregierung aus Grünen (Projektgegner) und SPD (Projektbefürworter) fahren will. Die Passage zu Stuttgart21 im Koalitionsvertrag wollen Kretschmann und Schmid erst kommende Woche ausformulieren.

Ungeachtet dessen sieht Bahn-Chef Rüdiger Grube offenbar keinen Anlass, seinen am Tag nach der Wahl freiwillig verkündeten Bau- und Vergabestopp bis zum Amtsantritt der Regierung Kretschmann zu verlängern. "Das wird ganz sicher nicht passieren", wird am Freitag in Grubes Umfeld vermutet. "Falls es später einen offiziellen Vorstoß von Ministerpräsident Kretschmann in Richtung Baustopp bis zur Volksbefragung im Herbst gibt, werden wir die Kosten dafür im Lenkungsausschuss des Projekts präsentieren", heißt es im Bahn-Konzern.

Ein Monat Bauunterbrechung bei Stuttgart21 kostet die Bahn nach Informationen unserer Zeitung rund 15 Millionen Euro. Sollte das Moratorium mehrere Monate anhalten, würden die Kosten überproportional ansteigen, warnen Experten. Bis zu einem Volksentscheid, der kaum vor Jahresende zu realisieren ist, könnten die Mehrkosten bis zu 200 Millionen Euro betragen. Würden diese Kosten dem auf 4,088 Milliarden Euro kalkulierten Projekt direkt zugeschlagen, wäre dessen Risikopuffer von heute 438 Millionen Euro zur Hälfte aufgebraucht; weitere 50 Millionen Euro sind bereits jetzt als reguläre Mehrkosten aufgelaufen.