Für Ministerpräsident Kretschmann ist Konflikt um S 21 ein Gewinn für die ganze Republik.

Stuttgart - Egal wie die Volksabstimmung am Sonntag ausgeht: Nach Ansicht von Grünen-Ministerpräsident Kretschmann hat bereits die gesamte Republik vom Konflikt um Stuttgart 21 profitiert. Denn die Bürger würden besser gehört. Dafür erntet er im Landtag heftigen Widerspruch.

"Das ist jetzt also die letzte Debatte zu Stuttgart 21": In dieser Feststellung von SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel schwang am Mittwoch ein großes Fragezeichen mit. Wie oft sich der Landtag seit 1994 schon mit dem Bahnhofsprojekt beschäftigt hat, wurde zwar noch nie gezählt. Doch allein seit dem Regierungswechsel vergeht kein Plenartag, an dem sich Befürworter und Gegner nicht beharken.

Als Schmiedel denn am Mittwoch seufzte, es höre die immer gleichen Argumente, erhob sich in der Runde zwar kein Widerspruch. Doch das hielt die Frontleute auch diesmal nicht davon ab, noch einmal das Wesentliche zu rekapitulieren. Stuttgart 21 gehe nicht auf Kosten anderer Bahnprojekte im Land, befand etwa CDU-Fraktionschef Peter Hauk. Stuttgart 21 gehe sehr wohl auf Kosten anderer Bahnprojekte im Land, konterte seine Grünen-Kollegin Edith Sitzmann.

Die letzte Debatte? "Mit Verlaub, ich glaub's noch nicht ganz", sagte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke, zusammen mit Kretschmann gerade frisch aus Südamerika zurückgekehrt. Dort sei ihm häufig die Frage gestellt worden, ob man in Baden-Württemberg noch investieren könne, sagte Rülke. Oder ob Verträge mit der Regierung nun nichts mehr wert seinen.

Neu war allerdings auch dieser Einwand nicht - vier Tage vor der Volksabstimmung scheint der Elan auf beiden Seiten merklich nachzulassen. "Die Töne waren etwas moderater", fasste denn auch Kretschmann seinen Eindruck der Debatte zusammen und knüpfte daran die Hoffnung, das Plebiszit möge befriedend auf den Konflikt wirken.

Unabhängig vom Ergebnis in der Sache zog er schon einmal eine positive Bilanz: "Egal wie die Abstimmung ausgeht, durch den Konflikt um Stuttgart 21 hat die ganze Republik schon gewonnen." Die Bürger würden nämlich künftig bei Infrastrukturprojekten früher einbezogen. Außerdem werde es sehr viel häufiger direktdemokratische Entscheidungen geben - vor allem in Baden-Württemberg.

"Wir sind bisher Entwicklungsland in Sachen direkter Demokratie", befand der Ministerpräsident und ließ keinen Zweifel daran, dass sich die Grünen als Entwicklungshelfer verstehen. Der Südwesten habe am 27. November die Chance, wenigstens ein Schwellenland zu werden. Und wenn die CDU bereit sei, die Verfassungshürden von Volksabstimmungen zu senken, sei sogar der Schritt "zu einem wirklich fortschrittlichen Land" möglich.

CDU und FDP reagierten mit Missfallensäußerungen und legten sich bereits die Frage zurecht, die sie in solchen Debatten regelmäßig stellen: Was, wenn das Quorum scheitert? Doch diesmal kam Kretschmann der Frage zuvor: "Akzeptieren Sie eigentlich die Abstimmung, wenn sie so ausgeht, wie wir wollen?" Darauf habe er noch keine Antwort erhalten, sagte der Grüne und verwahrte sich gegen die Unterstellung, er arbeitete in diesem heiklen Punkt mit Netz und doppeltem Boden.

Damit dies auch dem letzten Oppositionsabgeordneten klarwerde, lehnte sich Kretschmann so weit aus dem Fenster wie nie zuvor. "Wenn das Quorum nicht erreicht wird, ist das Ausstiegsgesetz gescheitert. Die Bahn hat Baurecht, und dann wird sie weiterbauen, und wir werden das durchsetzen." CDU und FDP quittierten das mit Bravorufen und minutenlangem Beifall. "Ich interpretiere das so", sagte CDU-Fraktionschef Hauk später, "dass Sie sich klar zur Projektförderpflicht bekennen."

Schließlich gaben Hauk und Rülke auch noch eine Antwort auf Kretschmanns Frage, wie denn die Opposition reagiert, falls das Ausstiegsgesetz eine Mehrheit erhält: Es sei keine Frage, dass sie einen solchen Ausgang der Volksabstimmung akzeptierten, antworteten beide.

Allerdings seien sie gespannt, wie dann das Land aus den Verträgen herauskommt. Rülke: "Es gibt nämlich kein Kündigungsrecht." Auch wenn der Kostendeckel nicht ausreiche, könne sich das Land nicht darauf zurückziehen, nichts mehr zu bezahlen.