Im Streit mit dem Bund um drohende Mehrkosten und Risiken geht Bahn-Chef Rüdiger Grube aufs Ganze. Foto: dpa

Alles auf Angriff? Auf Verteidigung? Oder gibt es noch einen Mittelweg? Am Dienstag will der Vorstand der Deutschen Bahn entscheiden, wie er mit der massiven Kritik an seinem Kurs bei den Mehrkosten von S 21 umgeht – und wie eine Lösung aussehen könnte.

Stuttgart/Berlin - Die Aussicht von der Vorstandsetage im 25. Stock ist grandios: Potsdamer Platz, Brandenburger Tor, Bundestag, Kanzleramt, und, und. Ganz Berlin liegt einem zu Füßen an der Spitze des Bahn-Towers. Doch nach solchen Höhenflügen wird dem Vorstand der Deutschen Bahn AG derzeit kaum zumute sein. Die fünf Manager haben massive Probleme wegen Stuttgart 21. Und wenn sie die nicht bald in den Griff bekommen, ist vieles möglich. Auch der berufliche Absturz.

Am heutigen Dienstag will der Vorstand seine Strategie absprechen für die künftigen Auseinandersetzungen – mit dem Aufsichtsrat, mit der Bundesregierung und mit den Projektpartnern Land, Stadt und Region in Baden-Württemberg. Viel Zeit bleibt den Managern um Bahn-Chef Rüdiger Grube und den für S 21 verantwortlichen Technik- und Infrastrukturvorstand Volker Kefer nicht: Am 5. März findet bereits eine außerordentliche Sitzung des Aufsichtsrats statt. Einziges Thema: Stuttgart 21.

„Der Vorstand der Deutschen Bahn steht zu Stuttgart 21.“ Mit dieser Aussage hat sich Grube am Freitag via Mitarbeiterbrief an seine Belegschaft gewandt. Er will keinen Zweifel aufkommen lassen, weder am Projekt noch an seiner Fähigkeit, Lösungen für die milliardenschweren Mehrkosten zu finden. Deshalb hält Grube gegenüber Öffentlichkeit, Politik und Medien stramm Kurs. Nur wenige wissen, dass der 61-jährige Manager inzwischen auch bewusst ein eigenes Risiko eingeht: Sollte S 21 gegen seinen Willen beendet werden, könnte er – und unter Umständen auch Kefer – den Job im Vorstand hinwerfen, vermuten Beobachter in Grubes beruflichem Umfeld. „Keiner im Vorstand glaubt an ein Scheitern von S 21 – und dennoch ist ein Scheitern inzwischen in den Bereich des Möglichen geraten“, heißt es lapidar im Umfeld des Konzerns.

Kirchner: „Niemand ist geholfen, wenn das Projekt scheitert und dort nur ein Scherbenhaufen liegt“

Alexander Kirchner, stellvertretender Vorsitzender des Bahn-Aufsichtsrats, hat die Chancen für die Realisierung des Projekts am Montag im Radiosender „Deutschlandfunk“ nur noch mit fünfzig/fünfzig angegeben. „Niemand ist geholfen, wenn das Projekt scheitert und dort nur ein Scherbenhaufen liegt“, sagte Kirchner und forderte eine Diskussion über Alternativen. Als Vorsitzender der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG im 20-köpfigen Bahn-Aufsichtsrat hat sein Wort Gewicht.

Auch die drei Staatssekretäre im Aufsichtsrat haben den Vorstand aufgefordert, „Alternativen bis zum Ausstieg“ zu prüfen. Die Vertreter des Bundes sind die ärgsten Kritiker. Sie werfen vor allem Kefer vor, den Aufsichtsrat erst am 12. Dezember 2012 und damit viel zu spät über 1,1 Milliarden Euro Mehrkosten und weitere 1,2 Milliarden Euro Risiken informiert zu haben. Kefer hat vorgeschlagen, dass die Bahn die 1,1 Milliarden übernimmt, da sie zu großen Teilen auf Planungs- und Kalkulationsfehler zurückgehen. Wer im Ernstfall für die 1,2 Milliarden Euro aufkommt, ist aber völlig offen. Land, Stadt und Region sagen dazu bisher kategorisch Nein. Auch der Aufsichtsrat hält dieses Risiko für nicht vertretbar.

Die Staatssekretäre wollen, dass die Bahn in dieser Schlüsselfrage verhandelt. „Der Bund meint, dass die Bahn den Baden-Württembergern auch mit Ausstieg oder fristloser Kündigung der Projektverträge drohen könnte, falls Verhandlungen zu nichts führen“, erinnert sich ein Teilnehmer von Gesprächen zwischen Bund und Bahn. Grube und Kefer seien aber der Ansicht, dass im Südwesten weder Verhandlungen noch Drohungen zu einem Ergebnis führten.

Kein Beschluss am 5. März könnte einen vorläufigen Baustopp bedeuten

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) geht inzwischen noch einen Schritt weiter. Selbst wenn der Aufsichtsrat der Mehrkostenübernahme durch die Bahn zustimme, verlange er „eine klare und unmissverständliche Erklärung“, dass S 21 von der Bahn durchfinanziert sei. Kretschmann hat die Sorge, dass die Bahn sonst auf Grundlage der S-21-Verträge eine weitere Beteiligung des Landes vor Gericht einfordert.

Eine drohende Blockade durch Aufsichtsrat und Land will Grube durch eine Zusage der CDU/FDP-Bundesregierung auflösen. In dem Szenario würde die Bahn bei Mehrkosten verhandeln, die internen Projektreserven einsetzen und letztlich den Bund um die Finanzierung der Restbeträge bitten. Sollte sich der Bund sperren, könnten Grube und Kefer mit Rückzug drohen, vermutet ein Kenner des Bahn-Konzerns: „Die beiden gehen aufs Ganze.“ Die Manager fühlten sich durch die Kritik der letzten Wochen auch sichtlich persönlich gekränkt. Sie seien irritiert, weil ihnen die Politik nicht mehr Rückendeckung gebe, weil ihnen der Aufsichtsrat so kritisch zusetze. Dasselbe Gremium hatte den Vertragsverlängerungen von Kefer und Grube im September beziehungsweise September 2012 zugestimmt. Mancher Aufsichtsräte fragt sich, ob Kefer die Mehrkosten nur deshalb später genannt hat – was der Bahn-Vorstand aber vehement bestreitet.

Falls der Aufsichtsrat am 5. März keinen Beschluss fasst – was angesichts der vielen Prüfaufträge des Gremiums und der offenen Fragen bei der Bahn am wahrscheinlichsten ist – droht auf der S-21-Baustelle wieder einmal ein vorläufiger Baustopp. Die finale Entscheidung jedoch – also Stuttgart 21 realisieren oder einen Ausstieg wagen, der laut Vorstand zwei Milliarden Euro kostet – werde man erst unter Einbeziehung der Bundeskanzlerin treffen, vermutet die Landesregierung. „Der Showdown zeichnet sich ab“. heißt es auch beim Bahn-Konzern.